Europa und internationales Recht

Passagier zu spät benachrichtigt

Airlines müssen Fluggäste mindestens zwei Wochen vor dem geplanten Flug über eine Annullierung informieren

Ein holländischer Staatsbürger, Herr K, hatte über einen Online-Reisevermittler einen Hin- und Rückflug gebucht: von Amsterdam nach Paramaribo (Surinam) mit der Fluggesellschaft Surinaamse Luchtvaart Maatschappij (SLM). Der Hinflug hätte am 14.11.2014 stattfinden sollen, wurde jedoch von der Airline annulliert. Das teilte die SLM dem Reisevermittler am 9. Oktober mit. Der schickte dem Fluggast jedoch erst am 4. November eine E-Mail mit dieser Information.

Herr K forderte von der Airline deshalb eine Ausgleichszahlung von 600 Euro. So ist das in der Fluggastrechte-Verordnung der EU vorgesehen, wenn Fluggäste nicht mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet werden, dass ihr Flug "gecancelt" wurde. Reisevermittler und Fluggesellschaft schoben sich nun wechselseitig den "schwarzen Peter" zu.

Sie müsse den Passagier nicht entschädigen, meinte die SLM, denn sie habe den Reisevermittler rechtzeitig über die Änderung informiert. Der Reisevermittler erklärte, für Änderungen des Flugplans sei er nicht verantwortlich. Er vermittle nur Verträge zwischen Fluggästen und Flugunternehmen. Es sei deren Sache, Kunden über Änderungen zu unterrichten. Schließlich übermittle er den Airlines mit der Buchung die Daten und Mailadressen der Fluggäste.

Könne eine Fluggesellschaft nicht beweisen, dass sie den Fluggast spätestens zwei Wochen vor dem Flug über eine Annullierung informiert habe, sei sie zur Ausgleichszahlung verpflichtet, entschied der Europäische Gerichtshof (C-302/16). Das gelte auch dann, wenn sie den Beförderungsvertrag mit dem Fluggast nicht direkt, sondern über einen Online-Vermittler geschlossen habe.

Daher müsse die SLM die 600 Euro zahlen. Es stehe der Fluggesellschaft aber frei, sich an den Reisevermittler zu halten und von ihm Schadenersatz zu verlangen.

Gericht lässt sich vier Jahre Zeit

EU-Gericht: Überlange Verfahrensdauer in einem einfachen Fall verstößt gegen Menschenrechte

Ein Lehrer verlangte Leistungen aus der Unfallversicherung. Der "Unfall" beruhte nach seiner Auffassung auf beleidigenden Äußerungen eines Schülers. Die hätten ihn so aus der Fassung gebracht, dass er arbeitsunfähig geworden sei. Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte ab und der Lehrer zog gegen den negativen Bescheid vor das Sozialgericht. Das Verfahren nahm fünf Jahre in Anspruch und führte nicht zum Erfolg.

Wegen der langen Dauer - allein das Landessozialgericht Berlin benötigte für seine Entscheidung vier Jahre -, wandte sich der Lehrer nun an den Europäischen Gerichtshof. Dieser bemängelte einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention und verurteilte die Bundesrepublik Deutschland, dem Lehrer die Gerichtskosten von 1.000 DM zu ersetzen und 3.000 DM Schmerzensgeld zu zahlen (16958/90).

Der Fall beinhalte keine besonderen Schwierigkeiten. Den Sachverhalt zu ermitteln und den Streit rechtlich zu beurteilen, sei einfach gewesen. Es sei daher nicht einzusehen, warum das Landessozialgericht trotzdem vier Jahre für seine Entscheidung benötigt habe. Auch wenn das Gericht angeblich überlastet gewesen sei, sei das keine akzeptable Begründung für eine derart lange Verfahrensdauer.

Lastschrift allein genügt nicht

Stromanbieter müssen ihren Kunden auch im Basistarif mehrere Zahlungsmöglichkeiten eröffnen

Eine Verbraucherzentrale beanstandete die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Stromanbieters: Er bot den Verbrauchern verschiedene Tarife zu unterschiedlichen Bedingungen und mit verschiedenen Zahlungsarten an. Bestellten Kunden jedoch online den Tarif "Strom Basic", gab es keine Wahlmöglichkeit. Das Energieunternehmen forderte ihre Kontodaten, die Kunden mussten ihm ein SEPA-Lastschriftmandat erteilen.

Dagegen klagte die Verbraucherzentrale: Nach EU-Recht und deutschem Energiewirtschaftsgesetz müssten Energieversorger ihren Haushaltskunden vor dem Vertragsschluss unterschiedliche Zahlungsmöglichkeiten eröffnen.

Über 90 Prozent der Haushaltskunden entschieden sich sowieso für die Lastschrift, konterte der Stromanbieter. Wenn er diese Zahlungsart vorgebe, könne er im günstigen Basistarif den Zahlungsverkehr einfacher überwachen. Die eingesparten Kosten kämen den Kunden zugute.

Mit dieser Argumentation war das Oberlandesgericht Köln nicht einverstanden (6 U 146/16). Wortlaut und Sinn des Gesetzes seien eindeutig: Energieversorger müssten für jeden Tarif verschiedene Zahlungsarten anbieten. Einkommensschwache Kunden, die über kein Konto verfügten, könnten nicht am Lastschriftverfahren teilnehmen. Ausgerechnet sie wären damit vom preisgünstigen Basistarif von vornherein ausgeschlossen. Die Praxis des Stromanbieters benachteilige sie unangemessen.

Außerdem sei der Basistarif nicht nur wegen des SEPA-Lastschriftverfahrens so günstig, sondern auch deshalb, weil der Energieversorger in anderen Tarifen mehr Leistungen biete. Seine berechtigten wirtschaftlichen Interessen könne er auch wahren, wenn er Kunden im Basistarif Bar-Überweisungen ermögliche: Wenn diese oder andere aufwändigere Zahlungsweisen Mehrkosten verursachten, dürfe das Unternehmen diese Kosten an die Kunden weitergeben.

Kein Krabbensalat im Handgepäck!

Kurzartikel

Wenn die Bundespolizei einem Flugreisenden bei der Gepäckkontrolle am Flughafen Berlin Tegel untersagt, 272 Gramm Büffelmozzarella, 155 Gramm Nordseekrabbensalat und 140 Gramm "Flensburger Fördetopf" im Handgepäck zu transportieren, ist das rechtens. Diese Lebensmittel gehören zu den Mischungen von Flüssigkeiten und Feststoffen, die nur in Einzelbehältern mit einem Fassungsvermögen von maximal 100 Millilitern in einem durchsichtigen Plastikbeutel befördert werden dürfen. Die Bundespolizei ist auch nicht verpflichtet, solche Lebensmittel vor Ort auf Flüssigsprengstoff hin zu untersuchen.

Teures 0180-Servicetelefon

Anrufe beim Kundendienst eines Unternehmens dürfen nicht mehr kosten als ein normales Telefongespräch

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs verklagte den Elektro- und Elektronikartikel-Händler comtech wegen Kundenabzocke. Das Unternehmen gibt auf seiner Webseite als Kundendienst-Telefonnummer eine so genannte 0180-Nummer an.

Ein Anruf bei dieser (deutschlandweit gültigen) Sondernummer ist wesentlich teurer als ein Anruf bei einer (regional gebundenen) Festnetznummer oder einer Mobilfunknummer. 14 Cent pro Minute kostet ein Anruf aus dem Festnetz, 42 Cent ein Anruf aus einem Mobilfunknetz.

Das Landgericht Stuttgart hatte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Stellungnahme zum Rechtsstreit zwischen comtech und Wettbewerbszentrale gebeten. In einer EU-Richtlinie heißt es nämlich, Verbraucher müssten für telefonische Kontakte im Zusammenhang mit einem Vertrag nicht mehr als den "Grundtarif" zahlen. "Grundtarif" bedeutet nach dem Urteil des EuGH gemäß dem üblichen Sprachgebrauch: die Kosten eines normalen Anrufs (C-568/15).

Anrufe bei einer Service-Rufnummer dürften nicht teurer sein als ein Anruf aus dem Festnetz oder ein Handygespräch, so der EuGH. Zweck der EU-Richtlinie sei der Verbraucherschutz. Ein Servicetelefon sei ein Angebot für Kunden, die von einem Unternehmen Informationen zu einem Vertrag erhalten oder Gewährleistungsrechte geltend machen wollten. Dürften Unternehmen für ein Servicetelefon höhere Gebühren berechnen, könnte dies die Verbraucher davon abhalten, die Service-Rufnummer zu nutzen.

Keine Nachrüstung von Güllebehältern

Nordrhein-Westfalen darf Tiermäster nicht zu effektiverem Abdecken der Güllebehälter verpflichten

Tierhaltung stellt mit etwa 80 Prozent die Hauptquelle für Ammoniak-Emissionen dar. Die EU hat für diesen und für andere Luftschadstoffe 2010 Grenzwerte festgelegt. Seither hat Deutschland die nationale Höchstmenge für Ammoniak-Emissionen ständig überschritten. Um hier gegenzusteuern, hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen quasi im Alleingang beschlossen, große Schweinemastbetriebe müssten Abluftreinigungsanlagen einbauen ("Tierhaltungserlass" von 2013). Mit weiteren Regelungen hat sich das Bundesland einen Rüffel von der Justiz eingehandelt.

Flüssigmist soll in geschlossenen Behältern gelagert werden, um die Schadstoffemissionen gering zu halten. Nach der "Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft" (TA Luft) können Tiermastbetriebe auch andere Maßnahmen zur Luftreinhaltung anwenden, sofern diese Maßnahmen die Emissionen geruchsintensiver Stoffe und von Ammoniak um mindestens 80 Prozent mindern.

Die Landkreise Unna, Warendorf und Steinfurt haben unter Verweis auf den Tierhaltungserlass von Tiermästern verlangt, die Emissionen um 85 Prozent zu reduzieren. Begründung: Die Vorgaben der TA Luft entsprächen nicht mehr dem Stand der Technik. Es sei für die Betriebe finanziell zumutbar, Güllebehälter mit einem Zeltdach, Schwimmfolien oder -körpern abzudecken und die Emissionen des Schadgases Ammoniak so um 85 Prozent zu verringern.

Verwaltungsgerichte und das Oberverwaltungsgericht Münster hoben diese Anordnungen auf (8 B 2691/15 und weitere, gleichlautende Urteile). Die Verwaltung dürfe von den Vorgaben der TA Luft nicht abweichen. Denn bisher gebe es in Wissenschaft und Technik keine gesicherten, neuen Erkenntnisse, die die Regelungen der TA Luft entkräften würden.

Zweifellos bestehe in Sachen Ammoniak Handlungsbedarf: Die Ammoniak-Emissionen müssten unbedingt reduziert werden, da Deutschland bisher die EU-Werte nicht habe einhalten können. Es sei aber in erster Linie Aufgabe der Bundesregierung und nicht die des Bundeslandes, die Vorgaben der EU mit nationalen Maßnahmen umzusetzen.

Unzulässige Bierreklame

Brauerei darf ihre Biere in der Werbung nicht als "bekömmlich" anpreisen

Ein Wirtschaftsverband beanstandete die Bierreklame einer Brauerei als unzulässig. Sie hatte 2015 eines ihrer Biere — mit Alkoholgehalt von 4,4 % — so gelobt: "Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt reift es in Ruhe aus, wodurch es besonders bekömmlich wird."

Stein des Anstoßes für den Verband, dem auch Konkurrenten der Brauerei angehören, war das Wort "bekömmlich". Für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent dürften Hersteller nicht mit "gesundheitsbezogenen Angaben" werben, erklärte der Wirtschaftsverband. So steht es in der einschlägigen EU-Verordnung (Health Claims Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 - HCVO).

Das Oberlandesgericht Stuttgart gab dem Verband Recht: Bier dürfe nicht als "bekömmlich" beworben werden (2 U 37/16). Angaben zu alkoholischen Getränken dürften nicht mehrdeutig sein. Und es sei verboten, Verbrauchern in der Reklame positive Wirkungen auf die Gesundheit zu versprechen. Eine "gesundheitsbezogene Angabe" im Sinne der HCVO liege nicht erst dann vor, wenn behauptet werde, ein Produkt wirke sich "heilsam" auf die Gesundheit des Konsumenten aus.

Unzulässig sei Werbung schon dann, wenn sie den Eindruck erwecke, beim beworbenen Produkt fehlten negative oder schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit oder fielen zumindest geringer aus als jene, die mit dem Konsum ähnlicher Produkte verbunden seien. Wenn man gängige Wörterbücher nach der Bedeutung von "bekömmlich" befrage, laute die Antwort: "zuträglich", "leicht verdaulich" oder "gesund".

Das suggeriere zum einen, dass sich beim Konsum allgemeines Wohlbehagen einstelle. Zum anderen beinhalte das Attribut "bekömmlich" aber auch ein "Langzeitversprechen": Auch bei lang anhaltendem Konsum werde das beworbene Lebensmittel dem Verbraucher nicht schaden. Das sei bei alkoholischen Getränken eine fragwürdige Aussage.

Die Brauerei sei auch für den Werbespruch "Wohl bekomm’s" bekannt. Das sei als Trinkspruch nur ein gut gemeinter Wunsch und daher zulässig. Das Unternehmen dürfe aber künftig nicht mehr versprechen, ihr Bier sei "bekömmlich".

Kein EU-Markenschutz für 08/15-Klingelton

Brasilianische Telekommunikationsfirma meldete einen Klingelton beim Unions-Markenregister an

Ein brasilianisches Telekommunikationsunternehmen wollte 2014 bei der europäischen Markenbehörde (die seit März 2016 den Namen "Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) trägt) einen Telefonklingelton als Marke schützen lassen. Die Firma beabsichtigte, das "Hörzeichen" für Smartphones, Tabletcomputer und Fernsehen zu verwenden.

Das Markenamt lehnte es jedoch ab, den Klingelton als Unionsmarke einzutragen: Das sei ein banaler und allgemein üblicher Klingelton, der überhaupt nicht auffalle und sich dem Verbraucher nicht einpräge. Daher tauge er nicht als Unternehmenskennzeichen für den Anbieter von Kommunikations-Dienstleistungen.

Gegen den ablehnenden Bescheid des EUIPO klagte die brasilianische Firma, scheiterte damit jedoch beim Gericht der Europäischen Union (T-408/15). Es sei zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, eine Tonfolge als Marke zu schützen, betonte das Gericht. Das müsse aber dann schon eine klar identifizierbare Klangfolge sein: Sonst fassten Verbraucher sie nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Dienstleistungen auf.

Eine richtige Tonfolge sei der angemeldete Klingelton jedoch nicht: Er wiederhole einmal die Note, aus der er bestehe (Gis), weise keinerlei charakteristische Eigenschaft auf. Das sei ein Standardklingelton, der sich bei jedem elektronischen Gerät mit einer Zeitschaltuhr und bei jedem Telefon finde. Das gleiche gelte in Bezug auf Fernsehdienste: Das Publikum werde dieses Hörzeichen wegen seiner Banalität nur als "Merker" dafür wahrnehmen, dass ein TV-Programm beginne oder ende.

Niemandem bleibe so ein Ton im Gedächtnis. Daher würde ihn das Publikum auch nicht als Hinweis auf die brasilianische Anbieterin der Dienstleistungen verstehen und als charakteristisches Kennzeichen, das es erlaube, deren Dienstleistungen von den Dienstleistungen anderer Unternehmen zu unterscheiden.

Ohrmarken für Kühe

Die EU-Pflicht, Rinder mit Ohrmarken zu kennzeichnen, gilt auch im "Kuhaltersheim"

Frau S betreibt einen "Lebenshof für Tiere", den sie auch als "Kuhaltersheim" bezeichnet. Sie will hier für Tiere ein Zuhause schaffen, die von Menschen gequält wurden oder wegen ihres Alters, wegen Krankheiten usw. ohne Hilfe nicht überleben könnten. Darüber hinaus will Frau S Verständnis für die Tierwelt und artgerechte Tierhaltung wecken — so ihre eigene Beschreibung des Projekts. 2012 beantragte sie beim Veterinäramt, ihren Rindern die EU-weit vorgeschriebenen Ohrmarken zu ersparen.

Die Tierhalterin berief sich auf eine Ausnahmeregelung in der "Viehverkehrsverordnung": Demnach kann die zuständige Behörde auch andere Kennzeichnungen genehmigen für Tiere, die in Zoos, Wildparks, Zirkussen oder ähnlichen Einrichtungen gehalten werden.

Ihr "Lebenshof" sei so eine Einrichtung, meinte die Antragstellerin, denn er diene schützenswerten kulturellen Zwecken, ebenso wie ein Zoo oder ein Wildpark. Zudem seien ihre Tiere mit Mikrochips gekennzeichnet und daher eindeutig identifizierbar. Ohrmarken dagegen seien ein Symbol für die tierfeindliche, industrielle Massennutztierhaltung.

Das Veterinäramt lehnte den Antrag von Frau S ab. Erfolglos blieb auch ihre Klage auf eine Ausnahmegenehmigung, die vom Verwaltungsgericht Oldenburg abgewiesen wurde (7 A 1649/14). Die Kennzeichnung mit Ohrmarken sei für alle Rinder verpflichtend, so das Gericht. Parallel zum EU-Recht sehe die Verordnung Ausnahmen nur für Rinder vor, die zu kulturellen und historischen Zwecken gehalten würden.

Das treffe beim "Kuhaltersheim" jedoch nicht zu. Die von Frau S befürwortete mitfühlende Einstellung zu Tieren habe nichts zu tun mit einem Zoo oder Wildpark. Dort würden Tiere "zur Schau gestellt", das diene in erster Linie belehrenden und wissenschaftlichen Zwecken. Die auf dem "Lebenshof" praktizierte Tierhaltung sei eher mit Mutterkuhhaltung auf Weiden vergleichbar.

Zudem erhalte der Betrieb mit 34 Tieren Fördermittel im Rahmen des "Niedersächsischen Agrar-Umweltprogramms NAU B1", die für "landwirtschaftliche Rinderhalter" bestimmt seien. Und als "landwirtschaftlicher Rinderhalter" müsse sich der "Lebenshof" an die europäische Kennzeichnungspflicht halten.

SV Wilhelmshaven contra FIFA

Der Norddeutsche Fußballverband hat einen Fußballzwerg zu Unrecht wegen Verstoßes gegen FIFA-Regeln zum Zwangsabstieg verdonnert

Der Vergleich "David gegen Goliath" drängt sich hier wirklich auf: Nach jahrelangem Rechtsstreit hat der Sportverein Wilhelmshaven — SVW, aktuell spielberechtigt in Bezirksliga Weser-Ems 2 — gegen den Weltverband gesiegt. Worum ging es? 2007 hatte der SVW, der damals noch in der Regionalliga Nord kickte, einen 19-Jährigen aus Argentinien verpflichtet. Er hatte bei Atletico River Plate und Atletico Excursionistas gespielt.

Sergio Sagarzazu war nur fünf Monate beim SVW und wurde nicht oft eingesetzt. Ungeachtet dessen sollte der Fußballclub den argentinischen Vereinen gemäß FIFA-Reglement eine Ausbildungsentschädigung von 157.500 Euro zahlen. Der SVW weigerte sich, weil er diesen Betrag nicht aufbringen konnte. Zur Strafe verfügte der Norddeutsche Fußballverband 2014 den Zwangsabstieg aus der Regionalliga: Der Weltverband FIFA hatte diese Sanktion gegen den SVW vom DFB gefordert.

Die Strafmaßnahme war rechtswidrig, entschied der Bundesgerichtshof (II ZR 25/15). Der SVW sei nicht Mitglied der FIFA, sondern des Norddeutschen Fußballverbandes. In dessen Satzung sei jedoch so eine Disziplinarstrafe für das Nicht-Zahlen einer Ausbildungsentschädigung nicht vorgesehen. Zwangsabstieg sei eine harte Sanktion — die Voraussetzungen für eine derartige Strafe müssten klar und eindeutig geregelt sein.

Dass die Satzungen von DFB oder FIFA entsprechende Konsequenzen vorsehen, spiele keine Rolle, betonten die Bundesrichter. Maßgebend sei hier nur die Satzung des Norddeutschen Fußballverbands, und die enthalte für einen Zwangsabstieg keine klare Ermächtigung.

Daher werden nun der Norddeutsche Fußballverband und andere Unterabteilungen des DFB ihre Satzungen ändern (müssen), damit sich so ein Rechtsstreit nicht wiederholt. Denn als DFB-Mitglieder sind sie verpflichtet, FIFA-Regeln umzusetzen.

Dieses Urteil wird also andere Fußballzwerge nicht vor ruinösen Ausbildungsentschädigungen bewahren. Wenigstens kann der SVW auf Basis dieser Entscheidung nun versuchen, vom Norddeutschen Fußballverband Schadenersatz für den rechtswidrigen Zwangsabstieg zu bekommen.

"AGG-Hopping" ist Rechtsmissbrauch

Stellenbewerber, die es nur auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung abgesehen haben, gehen leer aus

Seit 2006 verbietet in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Stellenbewerber wegen ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer Hautfarbe etc. zu diskriminieren. Das AGG setzte eine EU-Richtlinie um. Das ehrenwerte Ziel, Chancengleichheit in der Arbeitswelt durchzusetzen, führte allerdings auch zu einem neuen "Sport", dem so genannten "AGG-Hopping".

So nennt man es, wenn sich Personen um eine Arbeitsstelle bewerben, die gar nicht eingestellt werden, sondern einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung geltend machen wollen. Einer dieser Fälle beschäftigte jüngst den Europäischen Gerichtshof (EuGH, AZ.: C 423/15).

Ein deutscher Jurist warf einer Versicherung vor, seine Bewerbung nur wegen seines Alters abgelehnt zu haben. Die Versicherung hatte 2009 Trainee-Stellen für Hochschulabsolventen ausgeschrieben (Ökonomie, Wirtschaftsinformatik, Jura). Die Kandidaten sollten berufsorientierte Praxiserfahrung und einen sehr guten Hochschulabschluss vorweisen, der nicht länger als ein Jahr zurücklag.

Der Jurist bewarb sich: Als Rechtsanwalt und ehemaliger leitender Angestellter einer Versicherungsgesellschaft erfülle er alle Anforderungen. Als ihm die Versicherung einen Korb gab, verlangte der Jurist 14.000 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung. Flugs lud ihn die Versicherung nun zu einem Vorstellungsgespräch ein, doch der Bewerber lehnte ab. Er schlug vor, man könne ja über seine Zukunft sprechen, wenn das Unternehmen Entschädigung gezahlt habe.

Seine Zahlungsklage blieb in allen Instanzen erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht fragte schließlich beim EuGH nach, ob so ein Verhalten nach EU-Recht Rechtsmissbrauch darstelle. Das bejahte der EuGH: Die einschlägige EU-Richtlinie schütze Personen, die Beschäftigung suchten: Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen dürften niemanden benachteiligen.

Im konkreten Fall sei aber offensichtlich, dass die Person die Stelle gar nicht erhalten wollte, um die sie sich formal beworben habe. Der Jurist berufe sich missbräuchlich auf Schutz durch die EU-Richtlinie. Er habe nur eine Scheinbewerbung eingereicht, um einen unberechtigten Vorteil zu erlangen. Den formalen Status als Bewerber nur anzustreben, um Entschädigung fordern zu können, sei in der Tat Rechtsmissbrauch.

Teure Gülle!

Nordrhein-Westfalen knöpfte Landwirten für die Einfuhrgenehmigung von Gülle plötzlich ein Vielfaches ab

Zwei Landwirte aus dem Rheinland wehrten sich gegen horrende Importgebühren für Gülle. Schon seit Jahren düngen sie ihre Felder mit Gülle aus den Niederlanden. Zum Schutz vor Tierseuchen musste das Bundesland bis Juli 2011 die Einfuhr drucksterilisierter Gülle kontrollieren und genehmigen. Dafür kassierte Nordrhein-Westfalen bis Ende Februar 2011 eine Gebühr von 50 Euro pro Ladung.

In den folgenden Monaten forderte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz jedoch einen Euro pro Tonne. Auf einmal mussten die beiden Landwirte statt 50 Euro 814 bzw. 1.523 Euro zahlen. Mit Erfolg zogen sie gegen die Gebührenbescheide vor Gericht: Mehr als 50 Euro dürfe das Land nicht verlangen, urteilte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (9 A 1530/13 und 9 A 550/14).

Der vom Landesamt angewandte Gebührentarif sei mit europäischem Recht nicht vereinbar. Bei der Importgebühr handle es sich um eine "zollgleiche Abgabe", denn sie werde nur für ausländische Gülle erhoben. Solche Abgaben seien nach europäischem Recht (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) zwischen Mitgliedstaaten grundsätzlich verboten.

Verwaltungsgebühren dürften sie zwar erheben, wenn die Mitgliedsstaaten gemäß EU-Recht Kontrollen durchführten. Aber nur, um die Kosten zu decken und d.h., soweit für die "konkrete Amtshandlung" Kosten entstehen (Personal und Material). Das Bundesland Nordrhein-Westfalen habe jedoch ab März 2011 ganz andere Kosten "draufgeschlagen": Es habe nämlich Trinkwasser auf Nitratbelastung untersuchen lassen, die durch Düngen mit Gülle verursacht wurde. Entgegen der Auffassung des Bundeslandes sei es unzulässig, die Kosten solcher Untersuchungen per Importgebühr auf die Landwirte abzuwälzen.

Kein Markenschutz für "Monaco"

Das Fürstentum Monaco wollte seinen Namen als EU-weite Marke schützen lassen

Das Fürstentum Monaco beantragte EU-weiten Markenschutz für seinen Namen. Unter dem Etikett Monaco wollte eine fürstliche AG Waren und Dienstleistungen anbieten (Druckereierzeugnisse, Fotografien, Reisen und sportliche Aktivitäten, Unterkünfte für Gäste). Doch das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM), das in der Europäischen Union für Markenschutz zuständig ist, lehnte den Antrag ab.

Begründung: Der Begriff "Monaco" benenne das Land und würde daher in jeder Amtssprache der EU als Bezeichnung für die geografische Herkunft der Waren verstanden werden, nicht aber als Name eines Herstellers bzw. Anbieters von Waren und Dienstleistungen. Als Markenname sei der Begriff daher ungeeignet.

Die AG "Marques de l’Etat de Monaco" focht diese Entscheidung des HABM vor dem Gericht der Europäischen Union an — ohne Erfolg.

Das Fürstentum habe sich freiwillig entschieden, eine europäische Gemeinschaftsmarke zu beantragen und damit EU-Recht zu beanspruchen. Dann unterliege es auch dessen Regeln, stellte das Gericht der Europäischen Union fest (T-197/13).

Der Zwergstaat sei weltweit bekannt wegen seiner fürstlichen Familie und der verstorbenen Fürstin, dem Hollywoodstar Grace Kelly. Wegen der regelmäßigen Veranstaltung eines Formel-1-Rennens und wegen seines Zirkusfestivals. Ohne Zweifel werde jeder EU-Bürger beim Namen Monaco an das gleichnamige geografische Gebiet denken.

Damit habe die Bezeichnung "Monaco" lediglich beschreibenden Charakter: Sie verweise auf die geografische Herkunft der Waren bzw. auf den Ort, an dem eine bestimmte Dienstleistung erbracht werde. Als Unternehmenskennzeichen komme der Name des Fürstentums daher nicht in Frage.

Flieger zu spät gelandet

Fluggesellschaft darf unter bestimmten Bedingungen die Ausgleichszahlung für Passagiere kürzen

Ein Flug nach Cancun in Mexiko landete mit einer Verspätung von drei Stunden und 41 Minuten. Aus diesem Grund forderten zwei Passagiere von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung von 1.200 Euro gemäß EU-Fluggastrechteverordnung. Das Unternehmen zahlte den Reisenden allerdings nur 600 Euro. Und das zu Recht, erfuhren sie beim Anwaltsgerichtshof Hessen, der ihre Klage auf Zahlung des Differenzbetrags abwies (31 C 1623/14 (83)).

Im Prinzip stehe den Passagieren — bei einer Flugverspätung von mehr als drei Stunden und einer Entfernung von über 3.500 Kilometern (Langstrecke) — eine Ausgleichszahlung von 600 Euro pro Person zu, räumte das Gericht ein. Jedoch sehe die Fluggastrechteverordnung, welche die Rechte der Passagiere schütze, auch vor, dass Flugunternehmen die Ausgleichszahlung für einen annullierten Flug unter Umständen halbieren dürften.

Nämlich dann, wenn es ihnen gelinge, die Passagiere mit einem Alternativflug ans Ziel zu befördern, der höchstens vier Stunden später lande als ursprünglich geplant. Auch diese Regelung solle den Fluggästen nützen, indem sie für die Flugunternehmen einen finanziellen Anreiz biete, die Passagiere in solchen Fällen schnell anderweitig zu befördern. Warum sollte man diese Regelung nicht auf eine Flugverspätung von mehr als drei, aber weniger als vier Stunden übertragen?

Denn aus Sicht des Passagiers mache es keinerlei Unterschied, ob er mit dem gleichen Flieger (durchgeführt gemäß der ursprünglichen Flugplanung) oder mit einem Alternativflug drei bis vier Stunden zu spät lande. Die Ausgleichszahlung für die Flugverspätung um 50 Prozent zu kürzen, sei daher auch bei einer Flugverspätung zulässig, sofern sie unter vier Stunden bleibe.

Im konkreten Fall habe der Flieger laut Auskunft der Airline die Parkposition um 22.16 Uhr Ortszeit erreicht, drei Stunden und 41 Minuten nach der geplanten Ankunft. Selbst wenn man das Öffnen der Flugzeugtür als Maßstab für die Dauer der Verspätung nehme, liege sie noch unter vier Stunden: Vom Erreichen der Parkposition bis zum Aussteigen vergingen keine 19 Minuten, das hätten nicht einmal die Fluggäste behauptet. Da sie demnach mit weniger als vier Stunden Verspätung am Zielort ankamen, müssten sie sich mit 300 Euro Ausgleichszahlung pro Person begnügen.

Das "Himbeer-Vanille-Abenteuer"

BGH verbietet Reklame auf einer Verpackung von Teekanne als Etikettenschwindel

Der bekannte deutsche Teehändler bietet unter anderem einen Früchtetee mit dem blumigen Namen "Felix Himbeer-Vanille-Abenteuer" an. Auf der Verpackung prangen niedliche Bilder von Himbeeren und Vanilleblüten, daneben die Hinweise "nur natürliche Zutaten" und "Früchtetee mit natürlichen Aromen". So weit, so bunt. Allerdings finden sich im Tee weder Bestandteile, noch Aromen von Vanille oder Himbeere.

Das rief einen Verbraucherverband auf den Plan. Er kritisierte, die Verpackung des Tees täusche die Verbraucher über den Inhalt. Der Streit beschäftigt seither die Gerichte. Nur das Oberlandesgericht Düsseldorf verneinte irreführende Werbung: Die Angabe "natürliches Aroma mit Vanille- und Himbeergeschmack" im Zutatenverzeichnis stelle doch klar, dass der Früchtetee keine Vanille und keine Himbeeren enthalte. Dass Früchte fehlten, sei für die Verbraucher also zu erkennen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) befragte den Gerichtshof der Europäischen Union in Sachen Etikettenschwindel. Dessen Antwort: Wenn das nicht zutreffe, dürfe Reklame für Lebensmittel nicht durch das Aussehen, durch Bezeichnungen oder durch Bilder den falschen Eindruck erwecken, dass bestimmte Zutaten enthalten seien (Urteil vom 4.6.2015, C-195/14). Kurz gesagt: Was auf der Verpackung "drauf" ist, muss auch im Lebensmittel "drin" sein.

Diese Entscheidung setzte nun der BGH in seinem Teekanne-Urteil um (I ZR 45/13). Trotz der Hinweise im Zutatenverzeichnis sei es nicht ausgeschlossen, dass der Name des Tees und die Bilder auf der Verpackung Verbraucher zu dem Irrtum verleiteten, im Früchtetee Bestandteile oder Aromen von Vanille und Himbeeren vorzufinden.

Nicht jeder Verbraucher lese die kleingedruckte Zutatenliste auf der Rückseite, um vor der Kaufentscheidung präzise den Inhalt des Lebensmittels festzustellen, so die Bundesrichter. Viele orientierten sich an den groß herausgestellten Hinweisen und Bildern. Und diese legten zumindest den Gedanken nahe, der Tee bestehe tatächlich u.a. aus Vanille- und Himbeerbestandteilen. Daher dürfe das Produkt nicht mehr so etikettiert verkauft werden.

Transponder statt Schenkelbrand

Pferde mit Transpondern zu kennzeichnen ist in Deutschland Pflicht

Transponder sind kleine Funk-Kommunikationsgeräte, eine Art Speicherchip, der auch eingesetzt werden kann, um Tiere zu kennzeichnen. Die Mini-Geräte werden mit einem Injektor implantiert und verwachsen mit dem Gewebe.

Ein Pferdezüchter aus Rosendahl lehnt diese Praxis ab und möchte seine Hannoveraner-Pferde nach wie vor mit dem Schenkelbrand des Zuchtverbands kennzeichnen. Die zuständige Behörde wies ihn darauf hin, dass die einschlägige EU-Norm (VO (EG) Nr. 504/2008) zum Identifizierungssystem in Deutschland verbindlich gilt.

Vergeblich wehrte sich der Pferdezüchter mit einer Klage gegen die "Transponderpflicht": Nach dem 30. Juni 2009 geborene Pferde müssten in Deutschland ausnahmslos mit einem Transponder gekennzeichnet werden, stellte das Oberverwaltungsgericht Münster fest (13 A 1445/14). Hier gehe es darum, EU-weit ein lückenloses Identifizierungssystem zu gewährleisten, so das Gericht. Das sei mit dem Schenkelbrand nicht zu bewerkstelligen.

Für jedes in der EU geborene Pferd — und für pferdeartige Tiere wie z.B. Esel (= Equiden) — werde ein lebenslang gültiges Identifizierungsdokument ausgestellt, der so genannte Equidenpass. Der meist am Hals implantierte Transponder stelle eine eindeutige Verbindung zwischen diesem Dokument und dem Tier her. Mit einem Lesegerät könne man die auf dem Transponder gespeicherten Daten elektronisch auslesen. Eine Sammel-Datenbank speichere die Details zu jedem Pferd unter einer spezifischen Kennnummer.

Flugzeug defekt: 29 Stunden Verspätung

Gehört das zu den "außergewöhnlichen Umständen", die eine Airline von der Ausgleichszahlung an Fluggäste befreit?

Eine Holländerin reiste nach Südamerika (Ecuador). Sie hatte den Hin- und Rückflug — von Amsterdam nach Quito und zurück — bei der niederländischen Fluggesellschaft KLM gebucht. Der Rückflug verzögerte sich um mehr als einen Tag (um 29 Stunden), weil technische Teile des Flugzeugs defekt waren: Die Kraftstoffpumpe und die hydromechanische Einheit mussten ausgetauscht werden. Die Urlauberin verlangte für den verspäteten Flug eine Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung.

Dagegen pochte KLM darauf, das Malheur sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Es habe sich um einen "außergewöhnlichen Umstand" gehandelt, für den sie nicht verantwortlich sei. Damit sei sie von der Ausgleichspflicht befreit. Die defekten Teile habe sie, die Fluggesellschaft, per Luftfracht aus Amsterdam liefern und dort einbauen müssen. Diese Teile hätten ihre durchschnittliche Lebensdauer bei weitem nicht erreicht gehabt. Der Hersteller habe auch keinerlei Hinweis auf Mängel ab einem bestimmten Alter gegeben.

Das Amsterdamer Gericht, das den Rechtsstreit entscheiden sollte, legte ihn dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vor (C-257/14). Dabei ging es im Wesentlichen um die Frage, ob unerwartet auftretende technische Probleme, die nicht auf fehlerhafte Wartung zurückgehen, zu den "außergewöhnlichen Umständen" zählen, die der Airline nicht zuzurechnen sind.

Das gelte nur in Ausnahmefällen, so der EuGH: nämlich bei Problemen, die ein Luftfahrtunternehmen aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht im Griff habe. Zum Beispiel, wenn der Flugzeughersteller entdecke, dass eine Maschine einen versteckten Fabrikationsfehler aufweise, der die Flugsicherheit beeinträchtigen könne. Oder bei technischen Defekten durch Sabotageakte. Prinzipiell seien aber technische Probleme nicht als "außergewöhnlicher Umstand" einzustufen.

Die Fliegerei bringe unausweichlich technische Probleme mit sich, auch unerwartete Mängel gehörten zum betrieblichen Alltag einer Fluggesellschaft. Diese komplexen Systeme, die oft bei extremen Wetterbedingungen eingesetzt werden, seien anfällig. Kein Flugzeugteil habe eine unbegrenzte Lebensdauer. Mit Ausfällen müssten die Unternehmen ständig rechnen, auch wenn sie dem durch gründliches Warten vorbeugten. KLM müsse deshalb die Kundin für die Flugverspätung entschädigen. Es stehe dem Unternehmen frei, sich beim Hersteller der defekten Teile schadlos zu halten.

Rückflug sechs Stunden zu spät

Ein Kleinkind, das kostenlos mitreist, hat keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung

Eine deutsche Familie hatte ihren Urlaub auf Mallorca verbracht. Weil sich der Rückflug nach München um sechs Stunden und 20 Minuten verspätete, verlangten die Eltern für sich und für ihr eineinhalb Jahre altes Mädchen von der Fluggesellschaft pro Person 250 Euro Ausgleichszahlung gemäß der EU-Fluggastrechteverordnung.

In Bezug auf das Kleinkind scheiterte die Klage in allen Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof (X ZR 35/14). Die Eltern hätten den Pauschalurlaub inklusive Flug bei einem Reiseveranstalter gebucht, so die Bundesrichter. Laut Buchungsbestätigung habe die Fluggesellschaft dem Reiseveranstalter für das Mädchen eine Kinderermäßigung von 100 Prozent gewährt, d.h. für die Beförderung auf die Baleareninsel und zurück keine Kosten berechnet.

Die EU-Fluggastrechteverordnung gelte jedoch nur für zahlende Fluggäste. Also nicht für Kleinkinder, die ohne Anspruch auf einen eigenen Sitzplatz auf dem Schoß der Eltern — und deshalb kostenlos — befördert werden. Sie könnten daher auch keine Ausgleichszahlung von der Airline verlangen, wenn ein Flug annulliert werde oder mit mehr als drei Stunden Verspätung stattfinde.

1.559 Euro für mobiles Internet!

Mobilfunkanbieter muss bei ungewöhnlichem Kundenverhalten die Verbindung unterbrechen

Als der Kunde den Mobilfunkvertrag abschloss, wählte er bewusst keine Flatrate für das mobile Internet, sondern einen "Internet by call-Tarif". Bei diesem Tarif werden die tatsächlich gewählten Verbindungen berechnet. Das schien dem Kunden vorteilhafter, denn er surfte nur gelegentlich im "World Wide Web". Er wusste nicht, dass sich ein Smartphone auch automatisch ins Internet einwählen kann, z.B. um Updates herunterzuladen.

Das erfuhr der Mann erst, als es schon zu spät war: Für September 2010 schickte ihm der Mobilfunkanbieter eine Rechnung über 1.559,71 Euro ins Haus. Vom 7.9. bis 13.9. war das Smartphone des Kunden nachts permanent im Internet aktiv gewesen. Er beglich die horrende Rechnung nicht und ließ sich vom Mobilfunkunternehmen verklagen.

Das Amtsgericht Bonn entschied, dass dem Mobilfunkanbieter der geforderte Betrag nicht zusteht (104 C 432/13). Er habe dem Kunden weder eine SMS-Warnung geschickt, noch die Verbindung unterbrochen, kritisierte das Amtsgericht. Dazu seien Mobilfunkanbieter aber bei derart ungewöhnlichem Nutzungsverhalten von Kunden verpflichtet: Sie müssten Schaden von ihren Vertragspartnern abwenden.

Wähle ein Kunde einen "Internet by call"-Tarif und nutze dennoch in den Nachtstunden das Internet so exzessiv, dass die Kosten geradezu explodierten, stelle das einen krassen Widerspruch dar. Da müsse sich dem Mobilfunkanbieter der Gedanke aufdrängen, dass sich der Kunde unfreiwillig selbst schädige.

Ein vernünftiger Kunde, der so ausgiebig mit dem Smartphone "surfen" wolle, hätte zweifellos eine Flatrate gewählt. Außerdem sei der Mann weder vor, noch nach dem September 2010 lange im Netz gewesen, wie die übrigen Rechnungen belegten.

Mobilfunkanbieter müssten die Verbindung kurz unterbrechen ("Cut-off"), wenn die Gebühren eine Höhe von 150 Euro plus Mehrwertsteuer erreichten. Dieser Betrag orientiere sich an der EU-Roaming-Verordnung II: Sie sehe für mobile Internetnutzung im Ausland bei 50 Euro einen "Cut-Off" vor, um die Kosten zu begrenzen. Beim Surfen im Inland liege der Betrag höher, weil der Mobilfunkanbieter dabei nicht so schnell an eine automatische Einwahl des Smartphones (= ungewollte Selbstschädigung des Kunden) denken müsse wie bei der Internetnutzung im Ausland.

Bus statt Flugzeug

Vulkanausbruch verzögert Rückreise aus Marokko: kein Schadenersatz für Urlauber

Im April 2010 wurde bekanntlich der gesamte europäische Luftraum für Flugzeuge gesperrt, weil in Island der Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen war. Ein Vulkan-Opfer von vielen war Pauschalurlauber H, dessen Rückflug von Marokko nach Deutschland am 18.4. stattfinden sollte.

Da das unmöglich war, kündigte der Reiseveranstalter vorsorglich den Reisevertrag wegen höherer Gewalt. Gleichzeitig organisierten seine Mitarbeiter vor Ort einen Bus und beförderten die Marokko-Urlauber (am 19. und 20. April) auf dem Landweg nach Hause.

Urlauber H verlangte anschließend vom Reiseveranstalter über 9.000 Euro Schadenersatz: Er sei viel zu spät nach Hause gekommen und habe hohen Verdienstausfall zu beklagen. Anstatt zu checken, ob es Flugräume gab, die nicht gesperrt waren, habe der Reiseveranstalter die ganze Gruppe auf den Bus warten lassen.

Das Oberlandesgericht Frankfurt konnte jedoch auf Seiten des Veranstalters keine Versäumnisse erkennen und wies die Klage des Kunden ab (16 U 19/14). Am 18.4. habe niemand fliegen können. Dass es dem Reiseveranstalter nicht gelungen sei, die Urlauber wie geplant an diesem Tag nach Deutschland zu befördern, stelle angesichts der Umstände keine Pflichtverletzung dar. Er habe sie so schnell wie möglich nach Hause bringen lassen.

Am 18.4. habe niemand gewusst, wie lange der Luftraum gesperrt sein würde. Daher sei es korrekt gewesen, die Heimreise per Bus anzutreten, anstatt auf die ungewisse Möglichkeit der Öffnung des Luftraums zu hoffen. Erst ab dem 21.4. sei der Flugbetrieb in Mitteleuropa allmählich wieder in Gang gekommen. Hätte der Reiseveranstalter darauf gewartet, wäre Herr H noch später zu Hause eingetroffen. Wenn Tausende von gestrandeten Reisenden aus aller Welt auf Transport warteten, müsse der Reiseveranstalter auch nicht prüfen, ob irgendwo Flüge auf Teilstrecken möglich wären.