Geld & Arbeit

Gleiches Gehalt für gleiche Arbeit!

Die schlechtere Bezahlung einer Frau ist nicht mit "größerem Verhandlungsgeschick" des Kollegen zu rechtfertigen

Seit dem 1. März 2017 arbeitet Frau X als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb für ein Unternehmen. Zu Beginn betrug ihr — einzelvertraglich vereinbartes — Grundgehalt 3.500 Euro brutto. Denselben Job erledigten zwei männliche Kollegen, einer von ihnen war nur zwei Monate vor Frau X eingestellt worden.

Auch ihm hatte der Arbeitgeber zuerst ein Grundgehalt von 3.500 Euro brutto angeboten, zahlte ihm aber nach Verhandlungen ein höheres Gehalt. Der Kollege habe eine ausgeschiedene, besser bezahlte Vertriebsmitarbeiterin ersetzt, so begründete der Arbeitgeber nachträglich die ungleiche Bezahlung.

Nach etwa zwei Jahren beschloss die Mitarbeiterin, sich dagegen zu wehren. Frau X zog vor Gericht und verlangte die Differenz zwischen ihrem Gehalt und dem Gehalt des fast zeitgleich eingestellten Mannes: Schließlich erledige sie die gleiche Arbeit wie der männliche Kollege. Da sie aufgrund ihres Geschlechts schlechter bezahlt werde, schulde ihr der Arbeitgeber zusätzlich eine Entschädigung für Diskriminierung.

Frau X klagte sich durch alle Instanzen, erst vom Bundesarbeitsgericht bekam sie Recht (8 AZR 450/21). Der Arbeitgeber müsse der Mitarbeiterin die Gehaltsdifferenz ab 1.3.2017 zahlen und obendrein 2.000 Euro Entschädigung, entschieden die Bundesrichter. Wenn eine Frau für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt bekomme als ihr Kollege, begründe das den Verdacht, dass sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt werde.

Dem Arbeitgeber sei es nicht gelungen, diesen Verdacht zu entkräften. Mit dem Argument, der männliche Kollege verdiene nur deshalb mehr, weil er bei den Einstellungsgesprächen ein höheres Entgelt ausgehandelt habe, könne das Unternehmen den Vorwurf der Diskriminierung jedenfalls nicht widerlegen. Gehaltsverhandlungen dürften die Entgeltgleichheit von Männern und Frauen nicht aushebeln. Auch dass der Kollege einer besser bezahlten Mitarbeiterin nachfolgte, rechtfertige es nicht, ihm mehr zu zahlen als Frau X.

Kein Wohngeld für Langzeitstudentin

Kurzartikel

Studierende können bei überlanger Studiendauer ihren Anspruch auf Wohngeld verlieren. Das gilt vor allem, wenn die Umstände belegen, dass ein Student/eine Studentin das Studium nicht mehr ernsthaft betreibt. Davon kann man nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin bei einer Studierenden im 20. Hochschulsemester ausgehen, die nur ca. die Hälfte aller nötigen Klausuren bestanden hat: Wohngeld zu beanspruchen, sei in so einem Fall Rechtsmissbrauch.

Strompreiserhöhung angekündigt

"Vorher — nachher": Energieversorger muss Preisbestandteile einander gegenüberstellen

Ein Energieversorgungsunternehmen hatte im Frühjahr 2018 Sonderverträge für Strom und Gas angeboten und die Kunden per E-Mail darüber informiert, dass es ab Mai 2018 die Strompreise erhöhen werde. Die Nachricht enthielt weder eine Gegenüberstellung des vor und nach der Erhöhung gültigen Preises, noch wurden einzelne Kostenfaktoren aufgeschlüsselt. Aus diesem Grund mahnte ein Verbraucherschutzverein das Unternehmen ab.

Als der Energieversorger darauf nicht reagierte, zogen die Verbraucherschützer vor Gericht und verlangten mehr Transparenz bei der Kundeninformation. Während das Landgericht Köln eine detaillierte Gegenüberstellung der Preisbestandteile für überflüssig hielt, gab das Oberlandesgericht (OLG) Köln dem Verein Recht: Eine so knapp gehaltene Information über eine Preisanpassung sei intransparent, Verbrauchern fehle so jede Grundlage für einen Marktvergleich.

Erfolglos legte das Energieversorgungsunternehmen Revision ein: Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des OLG (VIII ZR 199/20). Das Unternehmen habe den Kunden per E-Mail Verbrauchsabrechnungen geschickt und dabei — sozusagen im Anhang — kurz eine Preiserhöhung angekündigt. Diese Information sei in der Tat unzulänglich.

Energieversorger müssten Kunden über beabsichtigte Preisänderungen umfassend unterrichten und zwar unabhängig davon, ob die Verbraucher in der Grundversorgung seien oder nicht. Energielieferanten müssten die einzelnen (nach ihren Geschäftsbedingungen im Strompreis enthaltenen) Preisbestandteile vor und nach der Anpassung aufschlüsseln und einander gegenüberstellen.

Wenn Kunden, so wie hier, nur über Umfang und Anlass der Änderung informiert würden, könnten sie nicht erkennen, auf welchen Kostenfaktoren die Preiserhöhung im Einzelnen beruhe. Unter diesen Umständen könnten die Verbraucher die Angebote verschiedener Versorger nicht richtig vergleichen und auch nicht prüfen, ob es sinnvoll sei, von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen.

Kriegsdienstverweigerer will keine verwundeten Soldaten pflegen

Mit dieser Begründung kann er den Wehrdienst, nicht aber den Zivildienst verweigern

Anerkannte Kriegsdienstverweigerer müssen keinen Zivildienst leisten, wenn ihnen ihr Gewissen auch dies verbietet und weitere Voraussetzungen vorliegen. Sie müssen dann mindestens ein Jahr länger, als der Zivildienst dauert, im Pflegebereich arbeiten.

Ein junger Mann begründete seine Totalverweigerung damit, dass er in einen Gewissenskonflikt geraten würde, wenn er als Zivildiensthelfer im Kriegsfall verwundete Soldaten versorgen müsste.

Dieses Argument ließ das Bundesverwaltungsgerichts jedoch nicht gelten (8 C 9/93 und 8 C 21/93). Das Gesetz schütze den Totalverweigerer nur dann, wenn sein Gewissen ihm verbiete, sowohl im Frieden als auch im Krieg Zivildienst zu leisten. Hier lehne der Betroffene aber nur die Heranziehung im Krieg ab. Die Begründung sei auch deswegen nicht als "Gewissensentscheidung" anzuerkennen, weil im Verteidigungsfall die Befreiung vom Zivildienst weitgehend aufgehoben sei. Im Krieg könnten Totalverweigerer dem Zivildienst nämlich nur entgehen, wenn sie ohnehin im Pflegebereich arbeiteten.

Betrüger am Telefon

Gibt ein Bankkunde TANs telefonisch durch, haftet er selbst für die abgebuchten Beträge

Am Telefon hatte sich vermeintlich ein Mitarbeiter der Bank gemeldet. Dem Bankkunden teilte er mit, die Bank müsse seinen TAN-Generator aktualisieren. Zu diesem Zweck sollte ihm der Kontoinhaber freundlicherweise einige TAN durchgeben. Der Bankkunde kam der Aufforderung nach … Beim Lesen der nächsten Kontoauszüge wurde dem Mann dann klar, dass er auf einen Betrüger hereingefallen war.

Die Bank ersetzte die unautorisiert abgebuchten Beträge nicht. Dazu sei sie nicht verpflichtet, erklärte die Bank, weil sich der Kunde grob fahrlässig verhalten habe. So sah es auch das Landgericht Saarbrücken: Es wies die Klage des Bankkunden auf Erstattung ab, weil er seine Sorgfaltspflichten leichtfertig und massiv verletzt habe (1 O 181/20). Daher müsse er für die illegalen Zahlungsvorgänge selbst haften.

Eine TAN am Telefon weiterzugeben, sei immer grob fahrlässig, weil dies nicht dem üblichen Übermittlungsweg der TAN entspreche. Wenn jemand in eine gut gefälschte Eingabemaske am Computer eine TAN eingebe, sei das eher zu entschuldigen. Damit sei das Verhalten des Kunden im konkreten Fall aber nicht vergleichbar.

Für sich genommen sei es zwar nicht total ungewöhnlich, wenn ein Mitarbeiter der Bank einen Kunden anrufe. Sehr ungewöhnlich sei es aber, wenn der Mitarbeiter verlange, telefonisch eine TAN durchzugeben. Wenn ein Kunde schon länger Online-Banking nutze, wisse er, dass mit TANs Zahlungsvorgänge freigegeben würden. Dem Kunden hätte also klar sein müssen, dass es sich nicht um einen regulären Vorgang handelte, sondern um Betrug.

Gegen Ammoniak und Henna allergisch

Kundin wies die Friseurin darauf hin, die trotzdem Haarfärbemittel mit Spuren dieser Stoffe einsetzte

Die Kundin war im Friseursalon erschienen, um sich die Haare färben zu lassen. Ausdrücklich wies sie die Friseurin darauf hin, dass sie allergisch sei gegen die Stoffe Ammoniak und Henna. Das sind Substanzen, die in geringer Menge in zahlreichen Haarfärbemitteln enthalten sind. Ohne dies weiter zu kommentieren, färbte die Friseurin der Kundin die Haare mit so einem Haarfärbemittel.

Prompt erlitt die Kundin eine allergische Reaktion: Gesicht und Augen schwollen an, an der Kopfhaut entwickelten sich Ekzeme. Von der Friseurin forderte sie deshalb Schmerzensgeld. Zu Recht, wie das Amtsgericht Brandenburg entschied: Denn der Friseurin sei fahrlässige Körperverletzung vorzuwerfen (34 C 20/20).

Wenn eine Kundin vor der Haarbehandlung explizit darauf hinweise, sie sei gegen bestimmte chemische Stoffe allergisch, dürfe eine Friseurin das nicht ignorieren. Die Friseurin könne natürliche Färbemittel ohne diese Substanzen verwenden. Habe sie keine derartigen Färbemittel, müsse sie die Kundin zumindest darüber aufklären, dass beim Einsatz ihrer Haarfärbemittel das Risiko einer Allergie nicht auszuschließen sei.

Am besten hätte die Friseurin das Färben der Haare rundweg abgelehnt. Wenn sie das nicht wolle, müsse sie sich zumindest von der Kundin schriftlich bestätigen lassen, dass die Kundin damit einverstanden sei, das Risiko einzugehen.

2.000 Euro Schmerzensgeld müsse die Friseurin der Frau zahlen, so das Amtsgericht. Dieser Betrag sei angemessen, aber auch ausreichend. Denn die Kundin habe kein Haar verloren und keine Perücke tragen müssen. Auch seien keine Spätfolgen zu befürchten.

Mangelhaftes Wärmedämmsystem

Auftraggeber verlangt vom Werkunternehmer Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung: Fristsetzung notwendig?

Ein Bauherr hatte ein Bauunternehmen damit beauftragt, am Eigenheim ein Wärmedämmverbundsystem anzubringen. Das Ergebnis war so verpfuscht, dass der Auftraggeber vom Auftragnehmer einen Kostenvorschuss verlangte, um die massiven Mängel von einer anderen Firma beseitigen zu lassen. Angesichts der vielen Mängel traute er das dem Bauunternehmer nicht mehr zu.

Doch der Auftragnehmer zahlte nicht: Zunächst müsse ihm der Auftraggeber Gelegenheit geben, selbst nachzubessern. Er werde die Mängel beheben, indem er die Wärmedämmung "aufdopple". Das bedeutet: Der Bauunternehmer wollte das mangelhafte Dämmsystem nicht entfernen, sondern stattdessen über diese Dämmschicht eine zweite legen. Das ist allerdings problematisch, wenn die erste nicht standsicher und tragfähig ist.

Mit diesem Vorschlag war der Auftraggeber nicht einverstanden und zog vor Gericht, um einen Kostenvorschuss durchzusetzen. Anspruch darauf haben unzufriedene Bauherren aber in der Regel nur, wenn sie den Auftragnehmer vorher zur Beseitigung der Werkmängel aufgefordert und dafür eine Frist gesetzt haben. Vor Gericht ging es daher im Wesentlichen um die Frage, ob der Auftraggeber darauf verzichten durfte.

Das Kammergericht in Berlin beantwortete die Frage mit "Ja" (21 U 1099/20). Ausnahmsweise könnten Bauherren auch ohne Fristsetzung Kostenvorschuss verlangen — unter zwei Bedingungen: Entweder habe ein Werkunternehmer die Mängelbeseitigung ernsthaft und endgültig verweigert. Oder der Werkunternehmer sei derart unzuverlässig, dass es für den Auftraggeber unzumutbar sei, dem Auftragnehmer die Mängelbeseitigung zu überlassen.

Letzteres treffe im konkreten Fall zu, denn es sei nicht damit zu rechnen, dass der Bauunternehmer das Wärmedämmsystem "ordnungsgemäß" nachbessern werde. Er habe ein von der Bauaufsicht nicht zugelassenes System verwendet und das so "windig" verbaut, dass man jederzeit darauf gefasst sein müsse, dass sich einzelne Bauteile lösten.

Aus diesem Grund verstoße auch die vom Bauunternehmer vorgeschlagene Art der Nachbesserung gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik. Bei so erheblichen Mängeln müsse man das Wärmedämmverbundsystem vollständig zurückbauen und dann ein neues anbringen, anstatt das "vermurkste" System nur aufzudoppeln. (Der Bundesgerichtshof hat das Urteil am 16.11.2022 bestätigt, AZ.: VII ZR 69/22)

Wärmepumpe nach fünf Monaten defekt

Kurzartikel

Plant und montiert ein Handwerker eine Wärmepumpe, schuldet er dem Hauseigentümer ein dauerhaft funktionstaugliches Werk. Funktioniert die Wärmepumpe schon nach einigen Monaten nicht mehr, liegt ein Werkmangel vor — außer, der Defekt entstand durch Bedienungsfehler oder andere äußere Einwirkungen. Der Auftraggeber kann daher vom Handwerker einen Kostenvorschuss für das Beseitigen des Mangels verlangen.

Fitnessstudio ist nicht steuerlich absetzbar

Mitglieder zahlen ihre Beiträge auch für nicht ärztlich verordnete Leistungen des Studios

Wegen ihrer Rückenprobleme hatte der Hausarzt einer Patientin 2018 Wassergymnastik verordnet. Einschlägige Kurse bot das Fitnessstudio an, in dem die Frau Mitglied war. Bei ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2018 wollte sie die Mitgliedsbeiträge für das Studio als außergewöhnliche Belastung geltend machen.

Doch das Finanzamt lehnte es ab, die Beiträge vom zu versteuernden Einkommen abzuziehen. Dagegen wehrte sich die Steuerzahlerin, scheiterte aber mit ihrer Klage beim Finanzgericht Niedersachsen (9 K 17/21). Als "außergewöhnliche Belastung" würden nur Heilbehandlungskosten anerkannt, die der/die Steuerpflichtige "zwangsläufig" tragen müsse, so das Finanzgericht.

Mit den Mitgliedsbeiträgen fürs Fitnessstudio bezahlten die Mitglieder jedoch auch Leistungen des Studios, die mit den ärztlich verordneten Kursen überhaupt nicht zusammenhängen: z.B. die Sauna oder die Nutzung des Schwimmbades für nicht ärztlich verordnete Aqua-Fitnesskurse. Solche Leistungen würden nicht nur von kranken, sondern auch von gesunden Personen in Anspruch genommen.

Unerheblich sei, ob die Steuerzahlerin die Sauna tatsächlich nutze oder nicht: Jedenfalls seien ihre Aufwendungen für das Fitnessstudio nicht (oder zumindest nicht vollständig) als zwangsläufige Heilbehandlungskosten einzustufen. Daher stellten sie auch keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des Einkommensteuergesetzes dar.

Lockdown auf Gran Canaria

Pauschalurlauber können wegen Corona-Einschränkungen den Reisepreis mindern

Ein verbraucherfreundliches Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Thema Corona und Reisemangel: Für März 2020 hatten Eheleute eine zweiwöchige Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln gebucht. Zwei Tage nach ihrer Ankunft ordneten die spanischen Behörden wegen der Corona-Pandemie eine Ausgangssperre an. Strände, Pools und andere Angebote der Ferienanlagen auf Gran Canaria wurden gesperrt.

Die Urlauber mussten einige Tage auf ihren Zimmern bleiben, wurden anschließend nach Deutschland zurückgeflogen. Vom Reiseunternehmen verlangten sie eine Minderung des Reisepreises um 70 Prozent. Der Reiseveranstalter wies die Forderung zurück: Der Urlaub sei an staatlichen Corona-Auflagen gescheitert, für so ein "allgemeines Lebensrisiko" müsse er nicht einstehen.

Das Landgericht München I reichte den Rechtsstreit an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiter: Er sollte die EU-Pauschalreiserichtlinie auslegen und entscheiden, ob pandemiebedingte Schließungen einen Reisemangel darstellen. Wenn eine Pauschalreise durch staatliche Corona-Maßnahmen beeinträchtigt werde, könnten die Reisenden den Reisepreis mindern, erklärte der EuGH (C-396/21).

Das gelte, obwohl Reiseveranstalter für eine derartige "Störung" nicht verantwortlich seien. Reiseveranstalter müssten nämlich unabhängig von eigenem Verschulden für vertragswidrige, mangelhafte Reiseleistungen haften. Von der Haftung seien Reiseunternehmen nur befreit, wenn ein Reisemangel den Urlaubern selbst zuzurechnen sei.

Dass wegen der Pandemie auch am Wohnort der Urlauber und in vielen anderen Ländern Ausgangssperren und weitere Einschränkungen angeordnet wurden, spiele bei der Haftung keine Rolle. Eine Pandemie stelle trotzdem kein allgemeines Lebensrisiko dar, sondern einen außergewöhnlichen Umstand wie z.B. eine Naturkatastrophe oder unerwartete Kriegshandlungen am Urlaubsort.

Das Landgericht München I muss nun das "Leistungsspektrum" der Gran-Canaria-Reise prüfen und danach entscheiden, welche Preisminderung den beeinträchtigten bzw. ausgefallenen Reiseleistungen entspricht.

Riskantes Überholmanöver vor einer Kurve

Autofahrer bremst wegen des Gegenverkehrs ab und bringt einige Rennradfahrer zu Fall

Eine Gruppe von fünf Rennradfahrern war im August 2019 in Nonnweiler-Primstal (Saarland) unterwegs: dicht hintereinander mit ca. 30 km/h. Kurz vor einer Kurve versuchte der Fahrer eines VW Golf mit Anhänger, die Gruppe zu überholen. Dass ihm ein anderer Wagen mit Pferdeanhänger entgegenkam, konnte der Golffahrer nicht sehen. Als sich der Golf neben dem vordersten Radfahrer befand, bemerkte der Fahrer den Gegenverkehr, brach den Überholvorgang ab, bremste und zog nach rechts.

Beim Ausweichen gerieten drei der Rennradfahrer aneinander und stürzten. Herr A erlitt dabei eine Schultereckgelenkssprengung, Schürfwunden und Prellungen. Er musste operiert werden und eine Abduktionsschiene tragen, war drei Wochen arbeitsunfähig und konnte monatelang nicht Autofahren.

A verklagte den Golffahrer und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld: Der Autofahrer habe mit seinem riskanten Überholmanöver an einer unübersichtlichen Stelle den Unfall schuldhaft verursacht.

Das Oberlandesgericht Saarbrücken gab dem Radfahrer Recht (4 U 136/21). Überholen dürfe nur, wer übersehen könne, dass kein Gegenverkehr komme und dass auch sonst niemand gefährdet werde. Da der Golffahrer vor der Kurve den Überholweg nicht vollständig überblicken konnte, hätte er die Gruppe der Radfahrer nicht überholen dürfen. Auch wenn er A nicht angefahren habe: Mit seiner Fahrweise habe der Golffahrer den Sturz der Radfahrer und die Verletzung von A ausgelöst. Daher müsse die Kfz-Versicherung einspringen.

Das Verbot, an unübersichtlicher Stelle zu überholen, solle nicht nur den Gegenverkehr, sondern auch die überholten Verkehrsteilnehmer schützen. Zudem müssten Autofahrer beim Überholen von Radfahrern mindestens 1,5 Meter Seitenabstand einhalten, weil deren Fahrlinie oft leicht schwanke. Der Golffahrer habe mit höchstens einem Meter Abstand überholt, wenn es überhaupt ein Meter gewesen sei — da seien die Zeugenaussagen unterschiedlich.

Da die Radfahrer außerdem im Pulk fuhren — für den Golffahrer erkennbar mit zu wenig Sicherheitsabstand —, sei die Sturzgefahr besonders groß gewesen. Das begründe allerdings auch ein Mitverschulden des Verletzten: Ein Drittel des Schadens müsse A deshalb selbst tragen. Bei organisierten Straßenrennen sei das anders zu beurteilen. Doch wenn sich Rennradfahrer im "normalen" Straßenverkehr bewegten, dürften sie nicht so dicht hintereinander fahren, sondern müssten zum eigenen Schutz Abstand halten.

Risiko in der Schwangerschaft

Für nicht zugelassene Medikamente muss die Krankenkasse nur in Notfällen zahlen

Eine schwangere Frau hat sich mit dem Zytomegalievirus angesteckt. Es ist für die Frau selbst nicht gefährlich. Wenn sich dagegen ein ungeborenes Kind damit infiziert, kann das unter Umständen sogar eine Fehlgeburt auslösen. Statistisch gesehen, ist das Risiko aber gering: Die meisten Kinder, deren Mütter sich während der Schwangerschaft mit dem Zytomegalievirus infizieren, kommen gesund zur Welt.

Die Schwangere beantragte bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für ein Medikament, das angeblich die Gefahr verringert, dass sich das ungeborene Kind ansteckt. Das Arzneimittel ist allerdings noch nicht vollständig erforscht und deshalb nicht zugelassen. Aus diesem Grund lehnte die gesetzliche Krankenversicherung die Kostenübernahme ab.

Zu Recht, entschied das Bundessozialgericht (B 1 KR 7/22 R). Nur in extremen Ausnahmefällen hätten die Versicherten Anspruch auf Medikamente, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ständen. Das sei nur der Fall, wenn sich eine versicherte Person in einer "notstandsähnlichen Situation" befinde. Nur in Notfällen müsse die Krankenkasse nicht zugelassene Arzneimittel finanzieren.

Das gelte auch für ungeborene Kinder. Schwangere Frauen könnten die Kostenübernahme nur verlangen, wenn dem ungeborenen Kind eine gefährliche Infektion drohe und eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen oder schweren Krankheitsverlauf bestehe. Doch das Risiko einer Fehlgeburt durch das Zytomegalievirus sei gering.

Opel fährt gegen geöffnete Autotür

Übersieht eine Autofahrerin die offene Tür eines geparkten Wagens, ist sie für den Unfall mitverantwortlich

Ein BMW-Fahrer hatte gegen 22 Uhr sein Auto am Straßenrand geparkt und war ausgestiegen. Dann holte er Sachen aus dem Kofferraum, dabei ließ er Standlicht und Innenbeleuchtung brennen und die Fahrertür offenstehen. Nach einigen Minuten kam aus der entgegengesetzten Richtung eine Autofahrerin und fuhr mit ihrem Opel Astra gegen die geöffnete Tür des BMW. Die Reparatur des Schadens am Opel kostete rund 1.900 Euro.

Der Ehemann der Fahrerin, Kfz-Halter des Opel, verklagte den BMW-Besitzer und dessen Haftpflichtversicherung zunächst erfolgreich auf Schadenersatz in voller Höhe. Doch der BMW-Fahrer setzte sich dagegen zur Wehr: Die Autofahrerin treffe zumindest eine Mitschuld am Unfall, meinte er. Immerhin habe sie eine offenstehende, beleuchtete Tür übersehen, die sie von weitem hätte erkennen können.

So sah es auch das Landgericht Saarbrücken und entschied, dass die Versicherung des BMW-Fahrers nur zwei Drittel des Schadens ersetzen muss (13 S 23/22). Autofahrer dürften nur so schnell fahren, dass sie innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig vor einem Hindernis anhalten könnten. Entweder sei der Bremsweg des Opel länger gewesen als die Sichtweite: Dann habe die Opel-Fahrerin gegen das Sichtfahrgebot verstoßen und sei zu schnell gefahren.

Oder die Autofahrerin habe auf die an sich rechtzeitig sichtbare Autotür zu spät reagiert: Dann sei sie unaufmerksam gewesen und für die Kollision ebenfalls mitverantwortlich. Der geöffneten Fahrertür hätte sie problemlos ausweichen können. Allerdings überwiege der Unfallbeitrag des sorglosen BMW-Besitzers den der Autofahrerin.

Autofahrer dürften Autotüren nicht länger offenstehen lassen. Wer ein- oder aussteige, müsse dies so vorsichtig tun, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährde. Wenn beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt werde, spreche schon der äußere Anschein dafür, dass der Ein- oder Aussteigende seine Sorgfaltspflicht fahrlässig verletzt habe.

Hypochonder oder Hyperchonder?

Ist der richtige Fachbegriff eindeutig zu erkennen, ist ein Schreibfehler in einer Prüfung unbeachtlich

In Nordrhein-Westfalen hatte eine Diplom-Psychologin eine Zusatzausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin absolviert. Die mündliche Prüfung bestand sie mit der Gesamtnote "gut", doch im schriftlichen Teil fiel die Frau durch. Beim zweiten Wiederholungsversuch drohte die Kandidatin endgültig zu scheitern — wegen eines einzigen Punkts: Mit 48 Punkten hätte sie bestanden, 47 Punkte hatte sie erreicht.

Nachdem ihr die zuständige Behörde des Bundeslandes das Prüfungsergebnis mitgeteilt hatte, legte die Psychologin Widerspruch ein. Bei einer Aufgabe sei nach dem Fachbegriff für übermäßige Angst vor Krankheiten gefragt worden. Die Frage habe sie mit "hyperchondrische Störung" statt "hypochondrische Störung" beantwortet. Da sie sich eindeutig nur ver-schrieben habe, hätte man die Antwort als richtig werten müssen.

Doch die Behörde blieb unerbittlich und wies den Widerspruch der Prüfungskandidatin ab: Die griechischen Wortbestandteile "hyper" (über bzw. übermäßig) und "hypo" (unter) bedeuteten etwas Verschiedenes. Daraufhin zog die Psychologin vor Gericht und focht das Prüfungsergebnis an. Am Ende entschied das Bundesverwaltungsgericht das lange juristische Tauziehen zu Gunsten der Prüfungskandidatin (6 B 36.22).

Schon das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hatte Nordrhein-Westfalen dazu verpflichtet, die schriftliche Prüfung mit 48 Punkten für bestanden zu erklären: Die Schreibweise der Diplom-Psychologin sei als unbeachtlicher Rechtschreibfehler einzustufen. Auch wenn die griechischen Vorsilben "hyper" und "hypo" etwas Unterschiedliches bedeuteten: Da es den Fachbegriff "Hyperchondrie" nicht gebe, habe die Kandidatin bei der Prüfung keineswegs zwei Fachbegriffe verwechselt.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Einwände des Bundeslandes gegen die Entscheidung des OVG zurück. Der Begriff "hyperchondrische Störung" habe keinen eigenständigen Inhalt. Wenn sich ein Prüfungsteilnehmer in einer Prüfung bei einem Fachbegriff verschreibe, sei dies unerheblich, wenn der gesuchte Ausdruck eindeutig erkennbar sei. Verfahrensfehler des OVG habe das Bundesland nicht belegen können.

Alter Nagel im Huf

Dressurpferd lahmte nach dem Beschlagen durch den Hufschmied

Ein Gestüt für Vielseitigkeitssport hatte den Hufschmied bestellt, um vier Pferde frisch zu beschlagen. Nach dieser Prozedur wurde das Dressurpferd D sofort in die Box zurückgeführt. Am späten Nachmittag reinigte ein Mitarbeiter D’s Hufe und sattelte das Tier. Ein Mitglied der Geschäftsleitung unternahm mit dem Pferd einen leichten Ausritt von ungefähr einer halben Stunde.

Am nächsten Morgen wurde das Tier am Stallboden liegend vorgefunden: D konnte das vordere rechte Bein nicht mehr belasten. Ein Mitarbeiter untersuchte das Bein und entdeckte im Hufstrahl einen alten, ungefähr 3,5 Zentimeter langen Nagel, den er entfernte. Anschließend wurde die Verletzung in einer Pferdeklinik behandelt.

Die Inhaberin des Gestüts veranschlagte die Kosten auf 33.700 Euro und verlangte dafür vom Hufschmied Schadenersatz: Bevor er das Dressurpferd beschlagen habe, habe es nie Probleme mit den Hufen gehabt. Für die Verletzung sei der Hufschmied verantwortlich, weil er so schlampig arbeite. Offenbar habe er Nägel auf den Boden fallen und dort liegen lassen. Andernfalls hätte D nicht auf einen Nagel treten können.

Das Landgericht Koblenz wies die Klage der Pferdebesitzerin ab (3 O 80/21). Sie behaupte, D sei beim Beschlagen der Hufe in den alten Nagel getreten, der sich in den Hufstrahl gebohrt habe. Ein Verschulden des Hufschmieds sei jedoch nicht bewiesen, so das Landgericht, vielmehr gebe es daran begründete Zweifel. Denn zwischen dem Beschlagen und dem Ausritt am Nachmittag habe ein Gestütsmitarbeiter die Hufe des Tieres ausgekratzt. Ihm hätte der Nagel auffallen müssen.

Daher stehe nicht mit Sicherheit fest, dass sich das Dressurpferd schon vor dem Ausritt verletzt habe. Dass der "unordentliche Arbeitsplatz" bzw. die schlampige Arbeitsweise des Hufschmieds die Verletzung verursacht habe, sei möglich. Dass sich D den Nagel anderswo auf dem Gestüt oder auf dem Gelände eingetreten habe, sei aber ebenso wahrscheinlich. Da die Verantwortung des Hufschmieds nicht zweifelsfrei erwiesen sei, müsse er für die Behandlungskosten nicht haften.

Hauskäufer verlangt Maklerprovision zurück

Die Makler hatten den Selbstmord einer früheren Eigentümerin nicht offenbart

Im Februar 2021 kaufte Herr B in der Nähe von München für rund 1,5 Millionen Euro eine Doppelhaushälfte. Bei der Besichtigung hatte der Makler erwähnt, die Voreigentümerin sei gestorben und die Erbin verkaufe nun das Haus. Einige Tage nach dem Abschluss des Kaufvertrags erfuhr der Käufer von Nachbarn, dass sich die Voreigentümerin vor eineinhalb Jahren das Leben genommen hatte: Sie hatte mit einem Jagdgewehr erst ihren Hund und dann sich selbst erschossen.

Deshalb weigerte sich Herr B, die restliche Provision (rund 15.000 Euro) zu zahlen, und verlangte die bereits überwiesene Summe zurück. Begründung: Angesichts der grausamen Vorgeschichte wolle er die Immobilie nicht mehr bewohnen. Das Maklerbüro habe ihm den Vorfall verschwiegen, um die gewünschte Millionensumme realisieren zu können. Damit hätten die Makler ihre Aufklärungspflicht verletzt und ihre Provision verwirkt. Außerdem sei der Kaufpreis der Immobilie zu mindern.

Das Landgericht München I entschied den Streit zu Gunsten der Makler: Den Vermittlern stehe der Maklerlohn in voller Höhe zu (20 O 8471/21). Zum Zeitpunkt des Kaufs habe der Suizid bereits 18 Monate zurückgelegen. Hätte es sich um einen aufsehenerregenden Mord mit großem Echo in den Medien gehandelt, wäre eine Offenbarungspflicht des Maklerbüros möglicherweise zu bejahen.

In Fällen wie diesem, bei einem länger zurückliegenden Selbstmord, bestehe dagegen keine Aufklärungspflicht. Das gelte jedenfalls dann, wenn ein Makler keine Anhaltspunkte dafür habe, dass diese Tatsache für den Kaufinteressenten besonders wichtig sei. Im konkreten Fall sei das aber nicht ersichtlich. Weder bei der Besichtigung, noch bei den weiteren Vertragsverhandlungen habe der Käufer nach der Voreigentümerin gefragt.

Aus diesem Grund den Kaufpreis zu mindern — der angesichts der sehr guten Lage des Grundstücks angemessen sei —, komme ebenfalls nicht in Betracht. Der Selbstmord spiele beim Kaufpreis keine Rolle. Schließlich stelle er keinen Mangel dar, der dem Haus anhafte … Bei gebotener objektiver Betrachtung beeinflusse dieser Umstand die Kaufentscheidung eines vernünftigen Interessenten nicht.

Sparguthaben schon ausgezahlt

Bankkundin bekommt kein Geld, obwohl sie ein nicht entwertetes Sparbuch vorlegt

1992 hatte die Bankkundin ein Sparkonto eröffnet. Der letzte Eintrag stammt vom 21.3.1997: eine Zinsgutschrift und eine Bareinzahlung. Im Januar 2020 kündigte die Kundin den Sparvertrag, legte der Bank das nicht entwertete Sparbuch vor und verlangte das Guthaben von 70.100 DM. Das sei schon vor über 20 Jahren ausgezahlt worden, erklärte dagegen die Bank.

Auf telefonische Anweisung des (bevollmächtigten) Ehemannes habe sie, die Bank, am 16.4.1998 das Sparbuch aufgelöst und das Guthaben mit Zinsen auf dem Girokonto der Kundin als Bareinzahlung verbucht. Anschließend sei der Betrag auf Weisung der Kundin jeweils zur Hälfte für sie und für ihren Ehemann als Festgeld angelegt worden.

Nach dieser Auskunft zog die Kundin vor Gericht, um die Auszahlung des Guthabens durchzusetzen. Doch Landgericht und Oberlandesgericht Karlsruhe waren nach der Vernehmung der damaligen Bankmitarbeiter davon überzeugt, dass die Klägerin das Sparguthaben bereits erhalten hatte (17 U 151/21).

Wenn ein nicht entwertetes Sparbuch existiere, müsse allerdings die Bank beweisen, dass der Sparbetrag ausgezahlt wurde. Sie dürfe die Forderung nicht schon deshalb ablehnen, weil im Sparbuch lange Zeit nichts eingetragen wurde und ihre Aufbewahrungspflicht fürs Sparbuch abgelaufen sei. Und: Allein mit internen Unterlagen könne das Kreditinstitut nicht belegen, dass es über das im Sparbuch dokumentierte Guthaben nicht mehr verfüge.

Wenn aber weitere Umstände dafür sprechen, könne dies als Beweis ausreichen. Im konkreten Fall entspreche die Bareinzahlung auf dem Girokonto, durchgeführt von der Bank am 16.4.1998, dem Guthaben (plus Zinsen) auf dem Sparkonto exakt bis auf den letzten Pfennig. Die Vermutung der Bankkundin, diese Bareinzahlung stamme aus Bareinnahmen ihres seinerzeit betriebenen Obsthandels, sei unglaubwürdig — zumal alle Zeugen die Richtigkeit der bankinternen Buchungsunterlagen bestätigt hätten.

Die ehemaligen Bankmitarbeiter sagten ausnahmslos und übereinstimmend aus, dass der Ehemann der Bankkundin telefonisch die Auflösung des Sparbuchs, die Einzahlung des Guthabens auf das Girokonto und die Anlage als Festgeld beauftragt hatte. Damit stand für das Gericht fest, dass die Bankkundin keine Ansprüche mehr geltend machen konnte.

Widerruf beim Gebrauchtwagenhandel

Einen Kaufvertrag kann der Kunde nur widerrufen, wenn es um ein Fernabsatzgeschäft geht

Herr B suchte nach einem Gebrauchtwagen und fand im Internet die Anzeige eines Autohauses: Audi A3 Sportback e-tron, Erstzulassung März 2017, Kaufpreis 25.325 Euro. Er rief den Händler an und bekam per E-Mail ein Formular zugeschickt, das mit den Audi-Daten ausgefüllt war: "Verbindliche Bestellung eines Kraftfahrzeugs mit Garantie". Herr B unterschrieb und schickte das Formular per Fax zurück. Daraufhin erhielt er vom Autohaus per E-Mail eine Auftragsbestätigung für den Kaufvertrag, der Deal war perfekt.

Schon bald häuften sich Beschwerden des Käufers über Mängel, die der Händler jedoch bestritt. Schließlich widerrief Herr B den Kaufvertrag. Da sich das Autohaus weigerte, das Geschäft rückgängig zu machen, erhob der Käufer Klage. Er forderte die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Wagens. Vor Gericht ging es im Wesentlichen um die Frage, ob B den Kaufvertrag nach den Vorschriften zum Fernabsatzgeschäft widerrufen konnte.

Hintergrund: Im Versandhandel und im Onlinehandel (= Fernabsatzgeschäfte) steht Verbrauchern das Recht auf Widerruf zu. Sie können einen Kaufvertrag innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Ware widerrufen. Die Frist für den Widerruf ist aber nur dann auf zwei Wochen begrenzt, wenn der Verkäufer den Kunden korrekt über sein Widerrufsrecht informiert hat. Unterlässt der Händler diese Belehrung, besteht das Widerrufsrecht weiter.

Im konkreten Fall entschied das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg, B habe den Kaufvertrag wirksam widerrufen (3 U 81/22). Vergeblich pochte der Händler darauf, ein Autohaus sei kein Onlinehandel. Also stehe dem Käufer kein Widerrufsrecht zu. Dem widersprach das OLG: Hier handle es sich um ein Fernabsatzgeschäft, weil der Kaufvertrag allein mit "Fernkommunikationsmitteln" geschlossen wurde: B habe das Auto per Fax verbindlich bestellt, der Händler den Vertrag per E-Mail bestätigt.

Das Autohaus habe also sehr wohl ein Fernabsatzsystem eingerichtet, jedenfalls für daran interessierte Kunden entsprechende Kommunikationskanäle eröffnet. B habe problemlos einen Vertrag mit dem Autohaus schließen können, ohne persönlich dort zu erscheinen. Und das stelle keinen Ausnahmefall dar. Denn das Autohaus gehöre zu einer großen Gruppe von Autohändlern, die ihre Gebrauchtfahrzeuge eben auch "online" mit Garantie anbiete.

Heutzutage seien viele Verbraucher bereit, nur aufgrund einer Beschreibung im Internet — ohne Besichtigung und Probefahrt — einen Kaufvertrag abzuschließen. Da der Händler deshalb auch diesen Vertriebskanal regelmäßig nutze, liege ein Fernabsatzvertrag vor. Den habe B auch einige Monate nach dem Kauf noch widerrufen dürfen, da er vom Händler nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei.

Weiß ein Selbstmörder, was er tut?

Lebensversicherung zahlt nur ausnahmsweise bei Suizid

Die Lebensversicherung zahlt im Prinzip nicht, wenn sich der Versicherte selbst das Leben genommen hat. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Selbstmord auf eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit zurückzuführen, der Verstorbene also nicht mehr Herr seines Willens war.

Auf diese Ausnahme berief sich ein Ehemann, der nach dem Suizid seiner Frau die vereinbarte Versicherungssumme von 128.000 DM forderte. Seine Frau habe die Trennung von ihm nicht verarbeiten können und ohne Rücksicht auf ihre mütterliche Pflicht gegenüber den Kindern gehandelt. Dieser Realitätsverlust zeige eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit. Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe verweigerte die Versicherung die Zahlung aber zu Recht (12 U 24/93).

Der Selbstmord der Frau möge zwar unerklärlich erscheinen, weil er sich als weit übersteigerte Reaktion auf Eheprobleme, insbesondere die Untreue des Mannes, darstelle. Das allein lasse aber noch nicht den Schluss zu, dass die Frau nicht mehr gewusst habe, was sie tat. Der Sachverständige habe ihr zwar neurotische Depression attestiert, dabei handle es sich jedoch nicht um eine krankhafte psychische Störung. Daher sei die Lebensversicherung nicht zur Leistung verpflichtet.

Hinterbliebenengeld für Angehörige

Angehörige von Unfallopfern können bei "besonderem Näheverhältnis" Entschädigung erhalten

2018 war ein 81-Jähriger bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zahlte seiner Tochter vorgerichtlich 3.000 Euro Hinterbliebenengeld.

Hintergrund: Wird der Tod einer Person schuldhaft verursacht (z.B. durch einen Verkehrsunfall oder einen Arztfehler), können Angehörige Anspruch auf Hinterbliebenengeld vom Schuldigen haben — vorausgesetzt, sie standen der getöteten Person besonders nahe (§ 844 Bürgerliches Gesetzbuch).

Im konkreten Fall war das Vater-Tochter-Verhältnis sehr eng. Er hatte der Tochter alle Vollmachten erteilt, sie kümmerte sich intensiv um alle Belange des Vaters. Nach dem Unfall litt die Tochter sehr unter dem Verlust und hatte lange mit Schlafstörungen zu kämpfen. Vom Kfz-Versicherer verlangte sie mehr Hinterbliebenengeld. Das Landgericht Flensburg sprach ihr weitere 3.500 Euro zu, das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig sogar 7.000 Euro.

Die Versicherung legte gegen das Urteil Revision ein und bekam vom Bundesgerichtshof im Prinzip Recht (VI ZR 73/21). Das OLG müsse sich mit dem Fall noch einmal befassen und die Höhe der Entschädigung überprüfen, so die Bundesrichter. Der in einem früheren Gesetzentwurf zum Hinterbliebenengeld genannte Betrag von 10.000 Euro sei nur eine Orientierungshilfe. Im Einzelfall hänge die Höhe des Betrags ab von Intensität und Dauer des seelischen Leids eines Angehörigen und vom Grad des Verschuldens auf der Seite des Schädigers.

Das Hinterbliebenengeld sei jedenfalls niedriger anzusetzen als Schmerzensgeld. Wenn ein Angehöriger den Tod einer nahestehenden Person direkt an der Unfallstelle miterlebe und durch den Schock selbst erkranke, spreche man von einem "Schockschaden". Dafür könnten Angehörige Schmerzensgeld beanspruchen.

Und das müsse in der Regel höher sein als Hinterbliebenengeld, denn das Schmerzensgeld gleiche einen eigenen Gesundheitsschaden des Hinterbliebenen aus. Das Hinterbliebenengeld solle die betroffenen Angehörigen für das Leid entschädigen, das mit dem Verlust einer geliebten Person verbunden sei. Der seelische Schmerz falle aber nicht so schwer ins Gewicht wie ein eigener Gesundheitsschaden.