Rechtspflege

"Ausbrechen" aus der Ehe gefährdet Unterhalt

Gericht muss prüfen, ob die Ehepartnerin tatsächlich fremdgegangen ist

Als ein Ehemann nach der Trennung auf Unterhalt verklagt wurde, wandte er ein, seine Frau habe noch während des Zusammenlebens intime Beziehungen zu einem anderen Mann aufgenommen. Wegen dieses schwerwiegenden Fehlverhaltens könne sie keinen Unterhalt verlangen. Das Familiengericht war jedoch der Auffassung, dass nicht feststehe, ob die Ehefrau "aus einer intakten Ehe ausgebrochen" sei. Deshalb verurteilte es den Mann dazu, Unterhalt zu zahlen.

Das Oberlandesgericht Hamm kassierte dieses Urteil (4 UF 176/94). Die Frau habe zugegeben, dass sie jedenfalls nach der Trennung eine dauerhafte Partnerschaft mit einem anderen Mann eingegangen sei. Daher hätte das Familiengericht den neuen Partner als Zeugen vernehmen müssen. Außerdem hätte das Gericht prüfen müssen, ob nicht auch der Mann selbst eheliche Verfehlungen begangen habe. Erst wenn das aufgeklärt sei, könne das Familiengericht über Unterhaltspflichten und -ansprüche entscheiden.

Vom Sinn des Anwaltszwangs

Distanzierung vom Mandanten macht Rechtsmittel unwirksam

Ein Autofahrer war wegen eines unvorsichtigen Wechsels der Fahrspur zu 75 DM Geldstrafe verurteilt worden. Damit war er nicht einverstanden und beauftragte seinen Verteidiger, gegen die Sanktion vorzugehen. Selbst war ihm das nicht möglich, denn der entsprechende Antrag muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Sein Anwalt legte gegen das Urteil Berufung ein, erwähnte allerdings in seinem Schreiben an das Gericht an zwei Stellen ausdrücklich, dass er "auf Weisung" seines Mandanten handle.

Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf wurde der Antrag dadurch unzulässig (2 Ss (OWi) 193/94). Durch die Pflicht, sich bei bestimmten Anträgen eines Rechtsanwalts zu bedienen, solle dem Gericht die Prüfung grundloser und unsachlicher Anliegen erspart werden. Mit den Worten "auf Weisung" habe der Verteidiger Vorbehalte erkennen lassen. Er wolle offensichtlich die Verantwortung für das von ihm unterzeichnete Schreiben nicht übernehmen. Besser hätte er daran getan, den Mandanten richtig zu beraten und ihm das wenig erfolgversprechende Rechtsmittel auszureden.

Mutmaßliche Rechtsradikale muss Waffen abliefern

Die Frau hatte bei der Waffenbehörde eine Adresse angegeben, an der sie nicht wohnte

Wegen ihres engen Kontakts zu rechtsextremen Kreisen geriet Frau X ins Visier der Verfassungsschützer. Bei den Sicherheitsermittlungen kam heraus, dass sie zwar legal über Waffen verfügte. Doch im Antrag auf eine Waffenbesitzkarte hatte Frau X die Anschrift eines Bekannten angegeben. In dessen Wohnung war sie gemeldet, tatsächlich wohnte sie aber nicht dort.

Kein Wunder also, dass die Waffenbehörde vergeblich versucht hatte, in dieser Wohnung zu kontrollieren, ob Frau X Waffen und Munition sicher aufbewahrte. Die Behörde widerrief deshalb die waffenrechtliche Erlaubnis und wies die Frau an, ihre Waffen abzugeben. Gegen den Bescheid wehrte sie sich: Das Waffengesetz schreibe nicht vor, Waffen nur am Wohnsitz zu verwahren — auch in einer Jagdhütte sei das z.B. möglich. An ihrem tatsächlichen Wohnsitz habe sie Waffen und Munition jedenfalls ordnungsgemäß gelagert.

Richtig sei, dass Waffenbesitzer ihre Waffe auch in einem Bankschließfach oder in einer Jagdhütte im verschließbaren Waffenschrank aufbewahren dürften, stellte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern fest (1 M 254/22). Das Waffengesetz sehe aber sehr wohl eine Anzeigepflicht in Bezug auf die Wohnanschrift des Waffenbesitzers vor. Und Frau X habe eine andere Adresse angegeben als die, an der sie wohnte. Das verstoße in grober Weise gegen das Waffengesetz.

Ihrem Antrag auf eine Waffenbesitzkarte habe sie zudem Bilder eines eingebauten Waffenschranks beigefügt und so den falschen Eindruck erweckt, der Schrank stehe an der angegebenen Adresse. Ein halbes Jahr lang habe die Waffenbehörde nicht gewusst, wo sich die Waffen von Frau X befanden. Auf diese Weise habe sie Kontrollen vereitelt, die der Waffenbehörde jederzeit unangekündigt möglich sein müssten. Schon aus diesem Grund fehle es der Frau an der erforderlichen Zuverlässigkeit im Umgang mit Waffen. Der Widerruf der Waffenerlaubnis sei daher rechtmäßig.

Prozess um gefälschten Impfausweis

Gericht darf die Ergebnisse eines Polizeiberichts nicht ungeprüft übernehmen

2021 erschien eine Frau in einer Aschaffenburger Apotheke, um sich ein digitales Impfzertifikat ausstellen zu lassen. Sie legte einen Impfausweis vor, der dokumentierte bzw. dokumentieren sollte, dass sie zwei Mal gegen Corona geimpft worden war. Die Apothekerin informierte die Polizei, weil sie das Dokument anzweifelte.

Amtsgericht und Landgericht Aschaffenburg kamen aufgrund des Ermittlungsberichts der Polizei zu dem Schluss, dass sich die Frau mit einem gefälschten Impfausweis ein Zertifikat hatte erschleichen wollen. Das Amtsgericht brummte der Frau 3.200 Euro Geldstrafe auf, das Landgericht wies ihre Berufung gegen das Urteil ab.

Bei der Verhandlung vor dem Landgericht wurde der Polizeibericht vorgelesen, der durchaus Argumente beinhaltete, die für eine Fälschung sprachen: Die Frau sei keine Patientin des Arztes gewesen, der sie angeblich geimpft habe. Dessen Praxis sei am vermeintlichen Tag der zweiten Impfung geschlossen gewesen. Und die angeblich verwendeten Impf-Chargen hätten an den Impf-Tagen ihr Verfallsdatum bereits überschritten gehabt. Das Landgericht fand den Bericht so plausibel, dass es den Fall nicht weiter prüfte.

Dieses Vorgehen wurde von der nächsten Instanz, dem Bayerischen Obersten Landesgericht, hart kritisiert: Es verwies den Fall zurück (202 StRR 29/23). Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei lückenhaft: Es habe Indizien zugrunde gelegt, die es nur aus dem polizeilichen Ermittlungsbericht abgeleitet habe — ohne sich von der Richtigkeit der Ermittlungsergebnisse zu überzeugen. Dabei stehe nicht einmal fest, wie die Beamten selbst zu diesen Ergebnissen gelangt seien, ob sie z.B. dafür Zeugen befragt hätten.

Auf diese Weise könne das Revisionsgericht (d.h. das Bayerische Oberste Landesgericht) die Beweiswürdigung der Vorinstanz überhaupt nicht prüfen. Es sei nicht erkennbar, auf wessen Angaben die Ermittlungsergebnisse beruhten und ob die Auskunftspersonen glaubhaft über die Tatsachen berichten konnten. Die Beamten seien selbst nur Zeugen vom Hörensagen. Gerichtlich verwertbar seien solche Angaben aus zweiter Hand nur, wenn sie durch weitere Tatsachen gestützt würden. Solche seien dem Urteil aber nicht zu entnehmen.

Außerdem habe das Landgericht aus dem falschen Eintrag im Impfausweis ohne weiteres geschlossen, sie könne nicht vom angeblichen Aussteller — einem Arzt — stammen. Das sei aber ein Trugschluss, wie die Erfahrungen mit falschen Attesten zeigten. Zahlreiche Ärzte hätten falsche Bescheinigungen ausgestellt, um Personen von der Maskenpflicht zu befreien.

Zu schnell gefahren

Zeugen können Radarfoto "entkräften": Richter darf Beweisantrag nicht übergehen

Ein Amtsrichter verurteilte einen Autofahrer, weil er zu schnell gefahren war. Als Beweis diente ein Radarfoto. Der Betroffene hatte aber im Prozess angegeben, nicht er sei gefahren, sondern ein Fernfahrer aus seinem Betrieb. Diesem Beweisantrag war der Richter nicht nachgegangen: Das Foto sei aussagekräftig genug.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hielt dagegen nicht so viel von der Qualität von Frontfotos einer automatischen Kamera (Ss 337/94). Radarfotos zeigten die Fahrer nur mehr oder weniger deutlich, so das OLG. Daher könne man nicht ausschließen, dass der Richter zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn er das Foto mit einer weiteren Person verglichen hätte. Unter Umständen hätte er dann festgestellt, dass die andere Person abgebildet war. Dem Beweisantrag hätte der Amtsrichter nachgehen müssen: Er müsse sich mit dem Fall noch einmal befassen und ein neues Urteil fällen.

Haus mit undichtem Flachdach erworben

Schadenersatzklage des Käufers wurde zu Unrecht als "schlecht begründet" abgewiesen

Mit notariellem Kaufvertrag erwarb Herr T von einer Immobilienfirma ein Einfamilienhaus. Wie üblich, wurde im Vertrag die Haftung der Verkäuferin für Sachmängel ausgeschlossen. Trotzdem verlangte der Käufer einige Monate nach Vertragsschluss 18.000 Euro Schadenersatz für notwendige Sanierungsarbeiten.

Das Flachdach der Immobilie sei undicht, Wasser dringe ins Gebäude ein, erklärte der Käufer. Diesen Mangel habe ihm die Verkäuferin arglistig verschwiegen, daher greife der vertraglich vereinbarte Haftungsausschluss nicht.

Doch beim Oberlandesgericht (OLG) Koblenz scheiterte seine Klage: Die Höhe der Forderung sei nicht nachvollziehbar, so das OLG. Nach dem Gutachten seines Privatsachverständigen solle es 10.000 Euro kosten, die Abdichtung zu erneuern, 8.000 Euro werde für die Korrektur der fehlerhaften Wandanschlüsse im Dach veranschlagt. Diese sehr grobe Schätzung genüge nicht, um die Klage zu begründen: Im Gutachten werde nicht dargelegt, welche Reparaturen mit welchen Materialien notwendig seien und welcher Zeitaufwand für die Reparatur kalkuliert werde.

Die Behauptung, die Klageforderung sei unzureichend begründet, sei "offenkundig unrichtig", urteilte der Bundesgerichtshof (V ZR 128/22). Mit dieser harschen Kritik verwiesen die Bundesrichter den Rechtsstreit ans OLG zurück.

Wenn es, wie hier, um fachspezifische Fragen gehe, die besondere Sachkunde erforderten, dürfe man an den Sachvortrag eines Klägers keine überzogenen Anforderungen stellen. Um sein Verlangen zu begründen, müsse Herr T keinen detaillierten Kostenvoranschlag für die Sanierung vorlegen, die einzelnen Reparaturschritte darlegen, Material und Zeitaufwand konkret benennen! Das OLG dürfe von einem fachunkundigen Immobilienkäufer keine genaue Kenntnis der fälligen Arbeiten und des dafür nötigen Aufwands erwarten.

Kläger seien auch nicht verpflichtet, sich für einen Prozess um Schadenersatz Fachwissen anzueignen oder sich vorab von Sachverständigen helfen zu lassen. Herr T habe mit dem Auftrag für einen Sachverständigen, den Sanierungsaufwand grob einzuschätzen, ohnehin schon mehr getan, als er für das Gerichtsverfahren hätte tun müssen. Prinzipiell könnten sich Kläger in solchen Fällen mangels eigener Sachkunde darauf beschränken, zunächst nur von ihnen vermutete Tatsachen vorzutragen.

Luftpumpe als Scheinwaffe verwendet

Handtaschenräuber wird wegen schweren Raubs bestraft

Drei Raucher standen vor einer Gaststätte auf dem Gehsteig. Eine Raucherin hatte ihre Handtasche neben sich auf einen Tisch gestellt. Da kam ein Mann auf sie zu, der es auf die Tasche abgesehen hatte. Er tat so, als hätte er ein Gewehr in den Händen — tatsächlich richtete er eine ausgezogene Luftpumpe auf die Frau.

Im Befehlston forderte der Mann die Gruppe auf zu verschwinden. Die erschrockenen Lokalbesucher gehorchten und liefen ins Haus. Alle glaubten, sie würden mit einer Schusswaffe bedroht — niemand erkannte die Luftpumpe. Der Täter verschwand mit der Beute. Später wurde er jedoch gefasst und vom Landgericht wegen schweren Raubes zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Gegen das Strafmaß wehrte sich der Mann.

Vor Gericht ging es im Wesentlichen um die Frage, ob es sich tatsächlich um "schweren Raub" im Sinne des Strafgesetzbuchs handelte, obwohl der Täter doch nur eine Luftpumpe "in Anschlag" gebracht hatte. Schweren Raub begeht laut Strafgesetzbuch ein Täter, der einer anderen Person etwas raubt und dabei eine Waffe — oder sonst ein Werkzeug oder ein Mittel — benutzt, um den Widerstand der anderen Person durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu brechen.

Auch eine Scheinwaffe sei von dieser Definition umfasst, entschied der Bundesgerichtshof (4 StR 61/23). Das gelte jedenfalls für Dinge, die dazu dienen könnten, den Widerstand des Beraubten zu überwinden — also für alle Gegenstände, die nicht ihrem äußeren Erscheinungsbild nach offensichtlich ungefährlich seien. Eine Luftpumpe könne man als Schlagwerkzeug einsetzen. Eine bedrohte Person könne sie also durchaus als bedrohlich wahrnehmen.

Im konkreten Fall habe der Täter die Luftpumpe nicht zum Schlagen, sondern dazu benutzt, eine Schusswaffe vorzutäuschen. Genau damit habe die Luftpumpe als Mittel gedient, um den Widerstand der attackierten Raucher zu brechen. Die Frau musste fürchten, erschossen zu werden, wenn sie dem Täter nicht die Tasche überließ. Diese Tat als schweren Raub einzustufen, sei daher richtig und das Strafmaß angemessen.

Jobcenter soll "platt sprechen"

Behörde muss ihre Bescheide nicht in plattdeutscher Sprache erteilen: Amtssprache ist hochdeutsch

Herr X, der 2017 Arbeitslosengeld II bezog, bekam seinerzeit auf eigenen Wunsch hin vom Jobcenter eine Stelle in einem Bauernmuseum zugewiesen. Kaum hatte er den entsprechenden Bescheid erhalten, klagte er dagegen und verlangte einen Behördenbescheid auf "plattdeutsch". Mit diesem aparten Anliegen hatte der Mann beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen keinen Erfolg (L 7 AS 1360/21).

Die Amtssprache sei (hoch)deutsch, stellte das LSG nüchtern fest, auch wenn die deutsche Sprache viele Mundarten und Dialekte umfasse. Herr X habe weder einen Anspruch auf Bescheide in platt- oder niederdeutscher Sprache, noch auf eine Übersetzung des Behördenbescheids aus dem Hochdeutschen ins Plattdeutsche: X beherrsche nachweislich Hochdeutsch.

Verwaltungsverfahren müssten einfach und zweckmäßig sein sowie "zügig durchführbar". Ein unübersichtliches Nebeneinander von Sprachvarianten mit unterschiedlichen Schreibweisen, die immer nur in einer Gegend von einem Teil der Bevölkerung verstanden werden, wäre mit diesem Grundsatz unvereinbar. Eine gemeinsame niederdeutsche Schriftsprache existiere schon seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr.

Völlig zu Recht habe die Vorinstanz, das Sozialgericht Detmold, gegen den Kläger eine Sanktion von 500 Euro festgesetzt ("Verschuldenskosten"), weil er die Justiz mit dieser unsinnigen und absolut substanzlosen Klage beschäftigt habe.

Auto wiederholt verkratzt

Der Autobesitzer setzt eine Wildkamera ein, um den Übeltäter zu überführen

Im Oktober und November 2020 entdeckte Herr S sieben Mal Kratzer an seinem Toyota, den er regelmäßig auf dem Grundstück des Mietshauses parkte. Da sich Mieter S mit dem Hauseigentümer — der ebenfalls im Mietshaus wohnte — einige Male gestritten hatte, vermutete er, der Kontrahent könnte sich auf diese Weise rächen. Am 26.11. stellte der Mieter eine Wildkamera auf, die das Auto von hinten und den Hauseingang filmte. Die Kamera verfügt über einen Sensor, der sie einschaltet, wenn sich im Umfeld etwas bewegt.

Schon die erste Aufnahme bestätigte den Verdacht von Herrn S: Ein Video vom 30.11. zeigte den Vermieter, der sich am Heck des Autos zu schaffen machte. Nun ließ Herr S die Lackschäden am Heck für 1.386 Euro reparieren und verlangte vom Vermieter Schadenersatz: Die Kratzer habe er mit einem spitzen Gegenstand in die Heckklappe geritzt.

Die Forderung wies der Hauseigentümer als unberechtigt zurück: Er habe nur den Schaden besichtigt. Außerdem seien die Aufnahmen der Wildkamera nicht "gerichtsverwertbar".

Doch das Amtsgericht Lörrach war anderer Ansicht und verurteilte ihn zum Ersatz der Reparaturkosten (3 C 111/22). Auf dem Video sei eindeutig der Vermieter zu sehen. Da bewege er mit der Hand einen Gegenstand, der wie ein Schlüsselanhänger aussehe — und zwar genau dort, wo später eine deutliche Kratzspur am Heck prangte. Damit sei seine Behauptung widerlegt, er habe den Wagen nur angeschaut.

Richtig sei: Die Videoaufnahmen seien auf unzulässige Weise zustande gekommen. Denn der Hauseigentümer sei ohne sein Wissen auf seinem Grundstück gefilmt worden. Das bedeute aber nicht automatisch, dass die Aufnahmen vor Gericht nicht als Beweis gelten könnten. Hier müsse man vielmehr die Interessen der Beteiligten abwägen und gewichten.

Auf der einen Seite sei zwar die Privatsphäre des Hauseigentümers geringfügig betroffen. Auf der anderen Seite stehe aber die Beweisnot des S, der mit weiteren Schäden an seinem Toyota habe rechnen müssen. Ohne das Beweismittel Video hätte er seinen Anspruch auf Schadenersatz nicht durchsetzen können: Die Aufnahmen dienten also der Wahrheitsfindung vor Gericht.

Zudem habe der Autobesitzer eine Wildkamera mit Bewegungsmelder aufgestellt und sich mit einer einzigen Aufnahme begnügt. Offenkundig habe es S nicht darauf angelegt, das Persönlichkeitsrecht des Vermieters zu verletzen. Er habe nur einen Beweis dafür gebraucht, auf wessen Konto die Sachbeschädigung ging.

Sperrzeit überschritten - Geldbuße für Wirtin

Die Sperrzeit gilt nur für die Bewirtung von Gästen, nicht fürs Personal

Weil sie die Sperrstunde um 2.00 Uhr missachtet habe und sich in ihrem Lokal um 3.10 Uhr noch Gäste am Tresen "vor teilweise gefüllten Gläsern" aufgehalten hätten, verhängte das kommunale Gewerbeaufsichtsamt gegen eine Wirtin ein Bußgeld. Dagegen wehrte sie sich und behauptete, die so spät noch anwesenden Personen hätten zum Personal gehört.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil des Amtsgerichts auf, weil der Amtsrichter die Aussage der Gastwirtin nicht überprüft hatte (3 ObOWi 112/94). Falls tatsächlich nur Angestellte "nach getaner Arbeit" gesellig beisammen gewesen seien, habe es sich nicht um Gäste gehandelt. Es sei anzunehmen, dass das Personal für die Getränke nichts habe zahlen müssen. Die Wirtin sei also um diese Zeit nicht mehr ihrem Gewerbe nachgegangen. Von einem privaten Charakter des Zusammenseins sei auch dann auszugehen, wenn dabei betriebliche Angelegenheiten, zum Beispiel die bessere Bedienung der Gäste, besprochen worden wären.

WEG genehmigt nachträglich eigenmächtig gebaute Terrasse

Ist das zulässig, wenn der Eigentümer bereits zum Rückbau verurteilt worden war?

In einer Wohnanlage hatte A, der Eigentümer der Dachgeschosswohnung, hinter der Wohnung eine Terrasse ausgebaut — ohne die anderen Wohnungseigentümer um Erlaubnis zu fragen. Dagegen war Eigentümer B vor Gericht gezogen. Er setzte durch, dass die bauliche Veränderung rückgängig gemacht werden muss. A wurde dazu verurteilt, die Dachfläche ohne Aufbauten wieder herzustellen.

Daraufhin beantragte A bei der nächsten Eigentümerversammlung, den Bau der Terrasse nachträglich zu genehmigen und sie ihm für 50 Euro monatlich zu vermieten. Dem stimmte die Mehrheit der Eigentümer zu. Wieder legte sich Eigentümer B quer. Er focht diesen Beschluss der Eigentümerversammlung an. Zu Recht, entschied das Landgericht Saarbrücken (5 S 3/22).

Der Beschluss sei rechtswidrig und nichtig, weil er den rechtskräftig festgestellten Anspruch des Eigentümers B auf Beseitigung der Dachterrasse ausheble. Wenn die Eigentümergemeinschaft (WEG) mit Eigentümer A einen Mietvertrag über die Dachterrasse schließe, gestatte sie damit eine gerichtlich für unzulässig erklärte bauliche Veränderung. Die WEG könne sich nicht die Kompetenz anmaßen, ein gerichtliches Urteil abzuändern.

PS: Die Vorinstanz, das Amtsgericht Saarbrücken, hatte dagegen den Streit zu Gunsten von A entschieden und dies so begründet: Die nachträgliche Zustimmung der WEG zur baulichen Veränderung und der Abschluss eines Mietvertrags hätten den "Lebenssachverhalt verändert", der der Verurteilung von A zum Rückbau zugrunde lag — die Beschlüsse der WEG hätten dem Urteil sozusagen die Grundlage entzogen.

Zu hohe Heizkosten?

Wohnungseigentümer setzt ein Expertengutachten durch, dafür fordert die Eigentümergemeinschaft von ihm Kostenersatz

Wohnungseigentümer W gehören in einer großen Wohnanlage mehrere Appartements. Nach der Heizkostenabrechnung für 2017 wollte er die außerordentlich hohen Heizkosten in einer seiner Wohneinheiten klären lassen. Der Grund dafür sei kein großes Geheimnis, bemerkten andere Eigentümer: Die betreffende Wohnung im obersten Stockwerk habe mehrere Außenwände und die Mieterin möge es eben warm. Gegen den Beschluss der Eigentümerversammlung setzte W bei Gericht durch, dass ein Sachverständiger beauftragt wurde.

Der Bauexperte bestätigte im Prinzip die Ansicht der anderen Eigentümer und verlangte für das Gutachten über 14.000 Euro. Auf der nächsten Eigentümerversammlung wurde beschlossen, den Betrag aus den WEG-Rücklagen vorzufinanzieren und dann bei W einzutreiben: Hätte W die Mieterin zu ihrem Heizverhalten befragt und die Einwände auf der Eigentümerversammlung ernst genommen, hätte es die teure Untersuchung nicht gebraucht.

W focht den Beschluss an: Zu Recht, wie das Amtsgericht Hamburg-St. Georg entschied (980b C 32/21 WEG). Auch wenn die Kritik der Eigentümergemeinschaft (WEG) nachvollziehbar erscheine, dass das Gutachten überflüssig gewesen sei: Dass die Kosten für den Sachverständigen anfielen, beruhe nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Eigentümers W, so das Amtsgericht. Grundlage für den Auftrag sei immerhin ein rechtskräftiges Urteil gewesen, das ein Gutachten zu den Heizkosten anordnete.

Das sei für die WEG finanziell nachteilig. Dennoch sei es nicht als Vertragsverletzung anzusehen, wenn ein Eigentümer einen gerichtlich festgelegten Anspruch durchsetze. Damit mache er sich der WEG gegenüber nicht schadenersatzpflichtig, W müsse die Gutachtenkosten nicht allein tragen. Wenn die WEG die gerichtliche Entscheidung, die Heizkosten überprüfen zu lassen, für falsch hielt, hätte sie direkt dagegen vorgehen und Rechtsmittel einlegen müssen.

Mietnebenkosten: Zu teures Müllmanagement?

Mieter müssen beweisen, dass die Vermieterin gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat

Fünf aktuelle und ehemalige Mieter eines Düsseldorfer Mietshauses forderten von der Vermieterin Geld zurück. Ihrer Ansicht nach hatte sie ihnen von 2016 bis 2018 für das Müllmanagement einen zu hohen Betrag abgeknöpft (56,04 Euro pro Jahr). Bereits im Jahr 2010 hatte die Vermieterin eine externe Dienstleistungsfirma damit beauftragt, den Müll nachzusortieren, die Restabfallmenge pro Haushalt zu erfassen und die Tonnenstandplätze zu reinigen.

Das Landgericht Düsseldorf gab den Mietern Recht: Die Vermieterin habe nicht dargelegt, dass diese zusätzlichen Kosten erforderlich gewesen seien. Mit diesem Urteil war jedoch der Bundesgerichtshof nicht einverstanden: Er hob es auf und verwies den Rechtsstreit ans Landgericht zurück (VIII ZR 230/21).

Zwar gehöre es zu den vertraglichen (Neben-)Pflichten des Vermieters, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten, d.h. bei den Betriebskosten auf ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu achten. Im konkreten Fall könne die Vermieterin jedoch mit dem Abschluss ihres (eventuell ungünstigen) Vertrags mit der Dienstleisterin nicht gegen diesen Grundsatz verstoßen haben: Denn 2010 bestanden die Mietverhältnisse der Kläger noch gar nicht.

Ein Verstoß der Vermieterin gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot käme daher nur in Betracht, wenn sie einen eventuell ungünstigen Vertrag später, also während des Mietverhältnisses, hätte korrigieren oder kündigen können, um so beim Müllmanagement ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen.

Dass dies möglich und wirtschaftlich zumutbar gewesen wäre und die Vermieterin diese Möglichkeit trotzdem nicht ergriffen habe, müssten aber die Mieter belegen, wenn sie Rückzahlung forderten. Nicht die Vermieterin sei hier beweispflichtig. Grundsätzlich gelte: Vor Gericht müsse jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darlegen und beweisen.

Gesundheitsgefahr durch Räumung?

Macht die Mieterin einen Härtefall geltend, ist ein Sachverständigengutachten einzuholen

Der langjährigen Mieterin einer Zwei-Zimmer-Wohnung wurde wegen Eigenbedarfs gekündigt. Die Frau hatte kurz vorher ihr Baby verloren und berief sich auf einen Härtefall: Sie leide unter einer Depression und einer Angststörung. Die Wohnung sei für sie der letzte Rückzugsort, im Fall eines Umzugs werde sie wohl nicht mehr eigenständig leben können.

Der Vermieter klagte auf Räumung und bekam vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck Recht: Es sah keine Gesundheitsgefahr und ignorierte den Vortrag der Mieterin. Sie ging in Berufung und legte dem Landgericht München II das Attest eines Facharztes für Psychotherapie vor, der die Diagnose einer psychischen Erkrankung bestätigte. Für den Fall einer Räumung sei eine schwerwiegende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu befürchten, so das Fazit des Befunds.

Das Attest habe keine Aussagekraft und sei wenig schlüssig, erklärte das Landgericht München II und ließ die Mieterin abblitzen. Doch die Frau wehrte sich weiterhin und erreichte beim Bundesgerichtshof (BGH) zumindest einen vorläufigen Erfolg (VIII ZR 96/22). Der BGH rüffelte die Münchner Richter: Sie hätten die Einwände der Mieterin mit oberflächlichen Argumenten abgetan, anstatt sie gebührend zu würdigen.

Das verletze den Anspruch der Frau auf rechtliches Gehör. Wenn von ihr vorgetragen werde, dass durch einen Wohnungswechsel Gesundheitsgefahr drohe, könne es sich tatsächlich um einen Härtefall handeln. Das müsse unbedingt gründlich geprüft werden. Und wenn das Gericht das Gutachten des Facharztes für unzureichend halte, müsse es ein weiteres Sachverständigengutachten einholen.

Stattdessen habe das Landgericht das fachärztliche Attest umstandslos und ungetrübt von eigener medizinischer Sachkunde für unverständlich und widersprüchlich erklärt. Dabei seien die vom Landgericht aufgezählten Widersprüche allesamt aus dem Zusammenhang gerissen. Deshalb müsse es sich nochmals mit dem Rechtsstreit befassen, um zu klären, ob ein Härtefall vorliege oder nicht.

"Die Frau des Herrn Meier müsste eigentlich 'Dame Meier' heißen"

Unterschiedliche Sprachentwicklung ist nicht diskriminierend

Die Wörter "Frau" und "Mann" seien nur Geschlechtsbezeichnungen. Daher müsse die korrekte weibliche Anrede nicht "Frau", sondern "Dame" heißen. Schließlich würden männliche Zeitgenossen auch nicht mit "Mann" angeredet.

So lautete die Begründung einer Klage. Eine "Dame" forderte, die Anredeform "Frau" und die Bezeichnung des Amtes einer "Landesbeauftragten für Frauenfragen" für rechtswidrig zu erklären.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg konnte in diesem Sprachgebrauch jedoch keine Diskriminierung erblicken (2 L 706/91). Sprachgeschichtlich habe sich nun einmal dieses Wort für die persönliche Anrede herausgebildet, während die allgemeine Form der Anrede "Sehr geehrte Damen und Herren" laute. Deshalb könne man diese Entwicklung auch nicht als unlogisch bezeichnen. Eine tatsächliche Benachteiligung durch die übliche und allgemein als korrekt empfundene Anrede "Frau" könne ohnehin nicht festgestellt werden.

Mehr Einfluss für den Berufsbetreuer?

Legt die Betreute Einspruch ein, muss das Gericht prüfen, ob sie das Für und Wider vernünftig abwägen kann

Für eine Frau, die nach einem Schlaganfall an kognitiven Störungen leidet und körperlich behindert ist, war ein Berufsbetreuer bestellt worden. 2020 erweiterte das Amtsgericht dessen Kompetenzen um das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und bei der Vermögenssorge. Künftig sollten alle Ausgaben der Betreuten mit einem Wert von mehr als 75 Euro von der Zustimmung des Betreuers abhängen ("Einwilligungsvorbehalt").

Gegen diese Entscheidung und die Auswahl des Berufsbetreuers legte die Frau Rechtsbeschwerde ein. Während das Landgericht die Beschwerde rundweg ablehnte, erreichte die Betreute beim Bundesgerichtshof zumindest einen vorläufigen Erfolg (XII ZB 158/21). Gegen den freien Willen des/der Betreuten dürfe eine Betreuung weder eingerichtet, noch erweitert werden, betonten die Bundesrichter.

Wenn der/die Betroffene so einer Maßnahme widerspreche, müsse das Gericht prüfen, ob er/sie trotz der Krankheit noch zu freier Willensbestimmung fähig sei. Entscheidend sei, ob Betreute den Grund und die Tragweite der Maßnahme intellektuell erfassen könnten oder nicht. Wenn die Betreute im konkreten Fall in der Lage sei, ihre Defizite richtig einzuschätzen und die Vor- und Nachteile der Maßnahme abzuwägen, dann beruhe ihr Einspruch auf ihrem freien Willen und sei zu berücksichtigen.

Die vorliegenden Sachverständigengutachten belegten nicht, dass die Betreute außerstande sei, Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Da werde festgestellt, diese Fähigkeit sei "in der Beziehung zu ihrer dominanten Jugendfreundin stark eingeschränkt, deren Dominanz könne die Betreute keine eigenen Entscheidungen entgegensetzen … Das reiche nicht aus, um der Frau objektiv die Fähigkeit zu freier Willensbildung abzusprechen. Das Landgericht müsse sich mit dem Fall noch einmal befassen und eventuell ein weiteres Gutachten anfordern.

Geschwindigkeitsverstoß verjährt oder nicht?

Wird die Identität eines Temposünders nicht rechtzeitig festgestellt, genügt auch ein Radarfoto

Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr verjähren innnerhalb von sechs Monaten. Sobald die Behörden jedoch einen bestimmten Verkehrsteilnehmer im Verdacht haben und gegen ihn ermitteln, wird dadurch die Verjährungsfrist unterbrochen.

Eine niedersächsische Kreisbehörde verfügte zwar über ein Radarfoto von einer Schnellfahrerin, hatte jedoch ihre Identität nicht klären können. Sie übersandte das Bild der Polizei zur Identifizierung. Als die Polizei den Namen der Verkehrssünderin endlich herausgefunden hatte, waren sechs Monate seit der Tat verstrichen. Dennoch wurde die Frau mit einer Geldbuße und einem Fahrverbot belegt.

Das Oberlandesgericht Celle hatte daran nichts auszusetzen und wies die Klage der Autofahrerin gegen die Sanktion ab (2 Ss (OWi) 339/94). Einerseits sei zwar ihr Einwand richtig: Nur, wenn sich die Ermittlungen gegen einen individuell bestimmten Täter richteten, halte dies die Verjährung auf. Andererseits bedeute "individuell bestimmt" aber nicht, dass der Name des Täters oder der Täterin bekannt sein müsse. Es reiche vielmehr aus, wenn ein Foto vorliege - vorausgesetzt, es sei scharf genug und zeige so viele Merkmale, dass man ihn oder sie damit identifizeiren könne.

Wegen eines Computerfehlers Frist versäumt

So können sich Rechtsanwälte nicht entschuldigen

Die moderne Datenverarbeitung hilft auch Rechtsanwälten, ihre Korrespondenz schneller zu erledigen. Wenn dabei etwas schief geht, können sie sich jedoch nicht auf das Computerprogramm herausreden.

Ein Rechtsanwalt hatte gegen ein Urteil Berufung eingelegt - aus Versehen allerdings nur im Namen eines der drei Beklagten, die in erster Instanz verloren hatten. Erst als die laut Gesetz einzuhaltende Monatsfrist abgelaufen war, teilte der Anwalt dem Gericht mit, dass er eigentlich für alle drei Mandanten Berufung einlegen wollte. Der Fehler sei auf die Software zurückzuführen: Schon seit zehn Jahren verwende er das dafür bestimmte Programm auf seinem Computer, noch nie sei ein derartiger Fehler passiert.

Damit konnte er die versäumte Frist nicht entschuldigen. Die juristischen Konsequenzen würden nicht rückgängig gemacht, entschied der Bundesgerichtshof (II ZB 16/94). Dem Juristen schrieben die Bundesrichter ins Stammbuch: Von einem Anwalt verlange man, dass er die ausgehende Post, zumal wenn sie ans Gericht gehe, vor dem Unterschreiben überprüfe. Mit einem "technischen Computerversagen" könne er Fehler also nicht rechtfertigen. Gerade dem Aufdecken solcher Fehler diene die abschließende Durchsicht der Schreiben.

Operationsrisiko verharmlost?

Patientin ist nach einer Tumoroperation halbseitig gelähmt und verlangt Schadenersatz

Eine 1962 geborene Frau litt unter einem meist gutartigen Tumor der Hirnhaut (Meningeom). Die Geschwulst war schon relativ groß, deshalb empfahl der behandelnde Arzt, sie operativ entfernen zu lassen. Den Eingriff führte ein Chirurg im Krankenhaus durch. Danach war die Patientin dauerhaft halbseitig gelähmt. Von der Klinik und vom Operateur forderte sie Schadenersatz wegen unzureichender Risikoaufklärung vor dem Eingriff.

Im Aufklärungsbogen des Krankenhauses werden als mögliche Folgen einer "großen Tumoroperation" Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, Sehstörungen, Verwirrtheit und viele andere, teils lebensgefährliche Komplikationen aufgezählt.

Deshalb wies das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz die Klage der Patientin ab: Die Gefahren würden im Aufklärungsbogen sehr klar gekennzeichnet. Allein die Tatsache, dass der Chirurg einige Risiken unterstrichen habe, die Formulierung "unter Umständen schwere und dauerhafte Ausfälle" jedoch nicht, belege keine Verharmlosung.

Mit diesem Urteil war der Bundesgerichtshof nicht einverstanden: Er verwies den Rechtsstreit ans OLG zurück (VI ZR 342/21). Die Patientin habe nicht nur gerügt, dass eine Formulierung im Aufklärungsbogen nicht unterstrichen gewesen sei. Vielmehr habe sie ausdrücklich eine Passage beanstandet, in der es heiße, nach dieser Operation komme es nur "selten" zu schweren, dauerhaften Störungen.

Dabei habe doch der medizinische Sachverständige im Prozess erläutert, dass nach dieser Operation 20 Prozent der Patienten schwere und 30 Prozent der Patienten leichte neurologische Defizite zeigten. Wenn im Aufklärungsbogen dennoch das Risiko schwerer bleibender Störungen als selten oder als Ausnahme charakterisiert werde, grenze das schon an Verharmlosung — zumal auch noch betont werde, sie bildeten sich im Laufe der Zeit meistens zurück.

Die Daten des Sachverständigen belegten, dass bei diesem Eingriff trotz sorgfältiger Diagnostik Komplikationen kaum zu vermeiden seien. Im konkreten Fall sei das Risiko sogar weit höher gewesen als der vom Experten genannte Durchschnittswert, weil der Tumor der Patientin stark durchblutet und mit dem Hirngewebe verzahnt war.

Mit den einschlägigen Hinweisen des Sachverständigen und dem zentralen Einwand der Patientin gegen den Aufklärungsbogen habe sich das OLG überhaupt nicht befasst. Das müsse die Vorinstanz nun nachholen. Auch der vom OLG als sehr treffend hervorgehobene Hinweis darauf, dass nach dem Eingriff schlaganfallähnliche Symptome auftreten könnten, sei im Aufklärungsgespräch durch den Verweis auf wahrscheinliche Rückbildung relativiert worden.

Zahnarzt wegen Betrugs und Steuerhinterziehung angeklagt

Der Angeklagte muss es hinnehmen, wenn Medien darüber sachlich berichten

Gegen einen Kölner Zahnarzt lief ein Strafverfahren vor dem Landgericht Köln. Er war wegen Steuerhinterziehung und Nötigung angeklagt und hatte sich an einem Betrug mit Millionenschaden beteiligt. Am ersten Verhandlungstag wurde die Anklageschrift verlesen. Eine Zeitung berichtete darüber, nannte den Vornamen des Zahnarztes sowie den Anfangsbuchstaben des Nachnamens und dass er in Köln-Mitte praktizierte.

Mit diesen Angaben konnten Leser den Angeklagten, der zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde, eindeutig identifizieren. Dagegen wehrte er sich und forderte, solche Mitteilungen zu unterlassen. Anders als das Landgericht Köln fand der Bundesgerichtshof die Berichterstattung der Zeitung völlig in Ordnung (VI ZR 95/21).

Die Zeitung habe zwar das Fehlverhalten des Zahnarztes öffentlich bekannt gemacht und damit seinem Ansehen geschadet. Dieser Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei aber gerechtfertigt, so die Bundesrichter: Denn das Interesse der Presse an Berichterstattung wiege hier schwerer als das Interesse des Mediziners, nicht identifiziert zu werden.

An Straftaten von Bedeutung bestehe nun einmal in der Öffentlichkeit großes Interesse. Wer einer schweren Straftat angeklagt sei, müsse es grundsätzlich hinnehmen, wenn Medien über die Vorwürfe berichteten. Außerdem habe sich der Zeitungsartikel darauf beschränkt, die in der öffentlichen Hauptverhandlung verlesene Anklage wahrheitsgemäß wiederzugeben. Darin liege keinerlei Vorverurteilung.

Anders als der Angeklagte meine, habe es ihm der Zeitungsreporter auch nicht ermöglichen müssen, selbst zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Das würde sogar die Sachaufklärung im Strafverfahren erschweren, da das Gericht dann die Aussagen des Angeklagten im Gerichtssaal und außerhalb des Verfahrens berücksichtigen müsste.