10 Jahre, 10 Monate und 30.000 Küken
onlineurteile.de - Hühnerzüchter S hatte mit einem Unternehmen des W-Konzerns Verträge abgeschlossen: Ihre Laufzeit betrug zehn Jahre; sie verlängerten sich jeweils um ein Jahr, wenn nicht zehn Monate vor Jahresende gekündigt wurde. S musste alle Küken vom W-Konzern beziehen und die gemästeten Hähnchen — 30.000 pro Generation — an zwei Geflügelschlachtereien liefern, die zum Konzern gehörten. Zudem verpflichtete der Vertrag den Hühnerzüchter dazu, das Tierfutter ausschließlich vom W-Konzern zu kaufen.
2010 kündigte der Geflügelzüchter kurzfristig die Verträge. Der W-Konzern verlangte Schadenersatz, weil das gegen die Vereinbarungen verstieß. Daraufhin zog S vor Gericht, um die vertragliche Bindung loszuwerden. Eine Laufzeit von zehn Jahren sei unzumutbar lang, erklärte er. Es handle sich auch deshalb um einen sittenwidrigen "Knebelvertrag", weil er das Futter nur vom W-Konzern beziehen dürfe.
Doch der Befreiungsschlag misslang. Der Hühnerzüchter scheiterte mit seiner Klage in allen Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof (VII ZR 111/11). Die vertraglichen Regelungen seien nicht zu beanstanden, so die Bundesrichter. Die Kündigung sei unwirksam, S hätte sich an die Kündigungsfrist halten müssen. Sittenwidrig wäre die langfristige Bindung an den W-Konzern nur, wenn der Züchter dem Konzern sozusagen "auf Gedeih und Verderb ausgeliefert" wäre. Das treffe aber nicht zu.
Vielmehr entsprächen die Verträge dem Bedarf beider Seiten: In dieser besonderen Branche, der industriellen Landwirtschaft, bräuchten alle Beteiligten Planungssicherheit. Anders funktioniere sie nicht. Bei derartigen Mengen Geflügel könne der W-Konzern kurzfristig keine Ersatz-Partner finden, die termingerecht liefern. Aber auch der Züchter, der seine Ställe auslasten wolle, könnte ohne langfristigen Vertrag nicht kontinuierlich so eine Masse von Küken auf dem freien Markt erwerben und nach der Aufzucht sicher wieder absetzen.
Obendrein seien die Preise für Küken und Futter nicht festgelegt, sondern würden immer wieder neu — entsprechend "handelsüblichen Konditionen" — ausgehandelt. Von einem Preisdiktat des Konzerns könne also keine Rede sein. Angesichts vieler Lebensmittelskandale sei es auch verständlich und legitim, wenn der Konzern unbedingt die Futterproduktion unter Kontrolle haben wolle, um seine Qualitätskriterien zu erfüllen ("Fünffaches D": Elterntiere aus Deutschland, Küken geboren in Deutschland, Hähnchen aufgezogen und geschlachtet in Deutschland, Tiernahrung aus Deutschland).