Auto rammt Roller
onlineurteile.de - Es war eine kleine Tragödie. Die Tochter hatte sich in einen jungen Mann verliebt, der der traditionell eingestellten Familie ausländischer Herkunft nicht passte. Die Familie übte erheblichen Druck auf die junge Frau aus — sie sollte sich unbedingt von ihrem Freund trennen und nach Hause zurückkehren. Da sie sich nicht überreden ließ, beschlossen Bruder und Vater, sie Mores zu lehren und den "Verrat an der Familie" gewaltsam zu beenden.
Sie lauerten in ihrem Auto dem Liebespaar auf. Als es auf einem Motorroller um die Ecke bog, fuhren die Sittenwächter hinterher. Das Pärchen bemerkte den Wagen und gab Gas. Die Verfolgungsjagd führte ungeachtet einer roten Ampel über eine belebte Kreuzung. Dann rammte der Bruder den Roller von hinten mit dem Auto.
Da er beim ersten Mal den Roller nicht zu Fall brachte, beschleunigte der Bruder erneut und fuhr noch einmal auf den Roller auf. Er schob ihn über Fahrbahn und Gehsteig schnurstracks in ein Gebüsch, wo der Roller umstürzte und das Paar zu Boden fiel. Der Freund ergriff, trotz Verletzungen und Prellungen, vor lauter Panik die Flucht. Vater und Sohn zerrten die Tochter auf den Rücksitz ihres Autos und rasten davon.
Das mittlerweile verheiratete Paar stellte Strafanzeige. Vor Gericht war klar, dass ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Unfallflucht und Körperverletzung vorlagen. Vater und Bruder wurden zu Geldbuße und Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Das Strafmaß hing unter anderem von der Antwort auf die Frage ab, ob die Täter nicht "nur" Körperverletzung, sondern Körperverletzung mit einem "gefährlichen Werkzeug" begangen hatten.
Denn ein Auto ist eine Sache, die man unterschiedlich verwenden kann. Verletzt man damit in böser Absicht einen Menschen, ist es als gefährliches Werkzeug anzusehen. Genauso wie ein Schraubenschlüssel harmlos ist, solange man damit schraubt — aber gefährlich, wenn er als Waffe gegen andere benutzt wird. Der Bundesgerichtshof verneinte hier eine gefährliche Körperverletzung und verwies die Sache ans Landgericht zurück (4 StR 292/12).
Letztlich sei der Rollerfahrer nicht durch das Auto (beim Anstoß von hinten) verletzt worden, sondern beim Sturz in dem abschüssigen Gelände. Auch der Vorwurf gemeinschaftlicher Nötigung treffe nicht zu: Mangels Erfolg habe es sich nämlich nur um versuchte Nötigung gehandelt.
Der Vater habe die Tochter geschlagen und gedroht, sie und ihren Freund zu töten. Aus Angst habe sie deshalb beteuert, sie werde sich von ihm trennen. Das habe sie aber nicht ernst gemeint. Die Tochter zur Rückkehr zu nötigen, sei also misslungen. Auch versuchte Nötigung sei jedoch strafbar. Das Landgericht müsse diese Korrekturen bei der Festsetzung des Strafmaßes berücksichtigen.