Das verschwundene Testament

Ausnahmsweise erbt ein Neffe, der nur eine Testamentskopie vorlegen kann

onlineurteile.de - Wer einen Erbschein beantragt, ohne seine Ansprüche auf das Originaltestament des Erblassers stützen zu können, hat in der Regel schlechte Karten. Doch: Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Zehn Jahre nach dem Tod des wohlhabenden Herrn W (2001) meldete sich der Neffe der (schon vor ihrem Mann verstorbenen) Frau W beim Amtsgericht. Das Ehepaar hatte keine Kinder, ein Testament war nicht gefunden worden. Daher hatte in der Zwischenzeit ein Nachlasspfleger das Vermögen verwaltet.

Nun legte der Neffe die Kopie eines handschriftlichen Testaments vor, in dem Herr W ihn als Alleinerben einsetzte, und beantragte einen Erbschein. Das Originaltestament blieb verschwunden. Das könnte bedeuten, dass der Erblasser die Originalurkunde bewusst vernichtet und damit das Testament widerrufen habe, urteilte das Amtsgericht. Es erteilte deshalb dem Neffen keinen Erbschein.

Ausnahmsweise könne auch eine Kopie genügen, um Erbansprüche zu begründen, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg (2 Wx 60/11). Allein die Tatsache, dass das Original nicht mehr auffindbar sei, beweise nicht, dass der Erblasser die Erbeinsetzung des Neffen widerrufen wollte.

Wenn die Originalurkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet wurde oder einfach verloren ging, könne ein Testament wirksam bleiben. Davon sei auszugehen — sofern niemand einen Widerruf des Testaments beweisen könne, der eigene Ansprüche auf das Erbe geltend mache.

Die Kopie sei allerdings nur anzuerkennen, wenn das Original wirklich von Herrn W stammte. Das hatte das Amtsgericht angezweifelt, doch das OLG ließ sich von der Ehefrau des Neffen überzeugen. Die Frau schilderte anschaulich, wie Herr W 1996 auf dem Krankenbett in einer Klinik das Testament auf einem Papierblock verfasst habe. Sie und ihr Mann seien dabei gewesen.

Dann habe ihnen der Onkel das Testament gegeben, um es zu kopieren. Das habe sie getan, danach das Original zurückgegeben und die Kopie in ein Kochbuch gesteckt. Wo der Onkel das Original aufbewahrte, wisse sie nicht. Ihr Mann und sie hätten aufgrund einer falschen Auskunft geglaubt, mit einer Kopie gebe es keine Chance auf die Erbschaft. Erst Jahre später habe sie in einer Fernsehzeitschrift gelesen, dass das nicht 100prozentig stimmte.

Für das OLG stand damit fest, dass Herr W das Original der Testamentskopie "formgerecht" handschriftlich verfasst hatte. Der Neffe bekam daher den Erbschein.