Falsche Eigendiagnose war tödlich

Orthopäde durfte sich auf Angaben des sachkundigen Patienten nicht verlassen

onlineurteile.de - Wegen starker Schmerzen in der linken Körperseite ließ sich ein Rettungssanitäter von Kollegen abholen und mit dem Krankenwagen zum Orthopäden fahren. Dort äußerte der 36-Jährige die Vermutung, da sei wohl ein Nerv im Bereich der Halswirbelsäule eingeklemmt. Der selbstbewusst und sachkundig argumentierende Patient erwähnte nebenbei, das "Ganze sei schon internistisch abgeklärt worden". Nun dachte der Mediziner, der Patient sei am gleichen Tag von einem Internisten untersucht worden.

Doch der Sanitäter sprach über einen Arztbesuch im Vorjahr. Der Orthopäde diagnostizierte eine Wirbelblockade und eine Muskelverspannung und entließ den Patienten wieder nach Hause. Kurz darauf fand ihn seine Ehefrau im Bad: Der Sanitäter lag bewusstlos am Boden. Als der Notarzt eintraf, konnte er nur noch den Tod feststellen: Ursache war ein Herzinfarkt.

Die Ehefrau und die zwei Kinder des Verstorbenen verklagten den Arzt auf Schadenersatz. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz bejahte ihren Anspruch (5 U 857/11). Es hätten alle Symptome eines Herzinfarkts vorgelegen. Diese Möglichkeit hätte der Mediziner auf jeden Fall von einem Internisten abklären lassen müssen, so das OLG. Dies zu unterlassen, sei ein grober Behandlungsfehler gewesen.

Vergeblich verwies der Arzt auf die irreführenden Angaben des Patienten, derentwegen er sich auf sein orthopädisches Fachgebiet beschränkt habe. Das durfte er nicht, hielt ihm das OLG vor. Ein Arzt müsse laienhafte Diagnosen mit kritischer Distanz betrachten, den Patienten genau befragen und selbst alle notwendigen Befunde erheben. Das gelte auch dann, wenn ein Patient medizinische Grundkenntnisse habe. Der dürfe wegen der Eigendiagnose nicht nachlässig behandelt werden.

Hätte der Orthopäde seine Pflicht erfüllt, den Patienten genau nach dem erstmaligen Auftreten und der Entwicklung der starken Schmerzen zu befragen, wäre ihm sein Irrtum hinsichtlich der internistischen Untersuchung aufgefallen. Hätte er den Patienten sofort zum Internisten weitergeschickt, hätte eine sofortige kardiologische Krisenintervention dessen Leben mit hoher Wahrscheinlichkeit gerettet.

P.S.: Im parallel geführten Strafprozess wegen fahrlässiger Tötung wurde der Arzt obendrein zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.