Simonis contra BILD

Eine "absolute Person der Zeitgeschichte" muss sich damit abfinden, beim Einkaufen fotografiert zu werden

onlineurteile.de - Vier Mal trat Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, im Frühjahr 2005 zur (Wieder-)Wahl an - und scheiterte. Angesichts dieses abrupten Endes einer politischen Karriere war die Aufregung in der Öffentlichkeit groß. Als sie endgültig aus dem Amt schied, am 27. April, wurde Frau Simonis auf der Heimfahrt von Reportern bedrängt und mit dem Wagen bis in ein Einkaufszentrum verfolgt. Obwohl sie die Reporter aufforderte, sie "in Ruhe zu lassen", wurde sie beim Einkaufen von Salat fotografiert. Die Reporter blieben ihr auf den Fersen und schossen auch noch Fotos von ihr in einem Bekleidungsgeschäft.

Die Fotos erschienen am nächsten Tag groß aufgemacht in der BILD-Zeitung. Heide Simonis verklagte den Verlag auf Unterlassung: Diese Fotos dürften nicht gezeigt werden. Man habe sie tagelang belagert, einen solchen Eingriff in ihre Privatsphäre müsse sie nicht dulden. Nur im zweiten Punkt bekam die Ex-Ministerpräsidentin Recht. Ansonsten entschied das Kammergericht in Berlin zu Gunsten des Verlags (9 U 251/05).

Das Recht von Frau Simonis auf Privatsphäre müsse hier zurücktreten. Politiker zählten zu den so genannten absoluten Personen der Zeitgeschichte, an denen ein großes Interesse der Öffentlichkeit bestehe. Das gelte erst recht, wenn eine hochrangige Politikerin, die bisher einzige Frau in diesem Amt, auf spektakuläre Weise aus dem Amt scheide. Die Menschen wollten erfahren, wie Politiker mit so einem Erlebnis fertig würden. Daher gebe es ein objektives Interesse an Berichterstattung, durchaus auch an Einblicken in das Alltagsleben. An einem solchen Tag - in der Öffentlichkeit und in ganz unverfänglichen Szenen - fotografiert zu werden, müsse Frau Simonis akzeptieren.

Dass die Reporter die Politikerin trotz ihrer Proteste tagelang bei privaten Aktivitäten "beschatteten und belagerten", gehe allerdings zu weit. Der Verlag müsse Auskunft darüber geben, was in den Tagen nach dem Amtsverlust an Fotomaterial entstanden sei, und dieses Material herausgeben.