Üble Nachrede gegen Polizisten?

Im Streit um sein Recht darf der Bürger auch einmal "starke Worte" benutzen

onlineurteile.de - Wegen einer kommunalen Veranstaltung war die Zufahrtstraße zum Wohnhaus von Herrn Z vorübergehend gesperrt. Kurz vor Ende der Veranstaltung fuhr Z trotzdem hinein, weil seine Frau nach Hause wollte. Eine Polizeistreife war gleich zur Stelle, um Verwarnungsgeld zu kassieren. Damit war Z nicht einverstanden, daher gab der Polizist den Vorgang an die Bußgeldbehörde weiter.

Z beantragte, das Verfahren einzustellen. In einem Schreiben an die Behörde schilderte er den Vorfall: "Nach gut 10 Minuten, meine Frau musste dringend auf die Toilette, ging sie zum Einsatzbus der Polizisten, um zu fragen, wie lange es denn noch dauere. Der Beamte mit unseren Papieren hatte es sich dort 'gemütlich' gemacht und wollte offenbar absichtlich etwas unsere Geduld strapazieren. … (Dann forderte er mich auf,) ein Schuldeingeständnis zu unterschreiben. … Ich habe nichts unterschrieben … Er hat uns dann schließlich fahren lassen — verblüffenderweise genau dorthin, wohin wir von Anfang an wollten und das, obwohl die Straße doch gesperrt war — oder vielleicht doch nicht für Anlieger??? Ehrliche Meinung meinerseits: Der Beamte war wohl den Tag über zu lange unten am Verkehrskreisel in der Sonne gestanden oder hat ganz einfach dort mitgefeiert. Normal war das jedenfalls nicht und menschlich schon dreimal nicht!"

Die Behörde bat den Polizisten um Stellungnahme, der stellte Strafantrag wegen übler Nachrede. Das Amtsgericht Grünstadt verurteilte Herrn Z zu einer Geldstrafe von 450 Euro: Er habe dem Beamten einen Dachschaden oder Trunkenheit unterstellt, das sei ehrverletzend. Das Landgericht bestätigte die Sanktion, doch die Verfassungsbeschwerde des Autofahrers gegen diese Urteile hatte beim Bundesverfassungsgericht Erfolg (1 BvR 2883/11).

Anders als die Vorinstanzen meinten, seien Z's Äußerungen nicht strafbar, so die Verfassungsrichter. Denn es handle sich nicht um die Behauptung falscher Tatsachen, sondern um subjektiv geprägte Werturteile. Schon aus dem vorangestellten Adverb "wohl" sei zu schließen, dass Z keinen Beweis dafür antreten wollte, dass der Polizist tatsächlich zu lange in der Sonne gestanden habe. Vielmehr nehme er zu dessen Verhalten wertend Stellung.

Um einer Behörde ihre Rechtsposition zu erläutern, dürften Bürger auch einmal starke und eindringliche Ausdrücke benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. Z habe erläutert, dass er das Vorgehen des Beamten für unangemessen und überzogen hielt. Das Schreiben habe sich ausschließlich an die Behörde gerichtet, Unbeteiligte hätten davon nichts erfahren. Von öffentlicher übler Nachrede könne daher keine Rede sein. Diesen Gesichtspunkt hätten die angegriffenen Urteile nicht ignorieren dürfen.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Aktenzeichen: 1 BvR 2883/11
Entscheidungsdatum: 29.02.2012
Urteilnummer: 52592