Wenn Kirchenrecht eine Scheidung verbietet ...

... kann das im Einzelfall mit dem Grundgesetz unvereinbar sein

onlineurteile.de - Die Frau wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich auch auf dem Papier die Fesseln dieser Ehe los zu werden. Die Frau stammte aus Syrien und gehörte der syrisch-orthodoxen Kirche an. Seit Jahren lebte sie als Asylbewerberin in Deutschland, ebenso wie ihr syrischer Noch-Ehemann, der katholisch war. Das Paar war 1993 in Syrien von einem Priester der chaldäischen Kirche getraut worden. Eine Scheidung schien zunächst unmöglich: Alle Gerichte sahen sich an das Ostkirchenrecht gebunden, das keine Scheidung kennt.

Vor 40 Jahren war es auch für den Bundesgerichtshof (BGH) klar gewesen: Wenn eine Ehe nach kirchlichem Recht nicht geschieden werden kann, entspricht das der deutschen Verfassung, welche die Ehe besonders schützt. Nun sah der BGH die Sache doch etwas "moderner" und wies das Oberlandesgericht an, die Möglichkeit einer Scheidung erneut zu überprüfen (XII ZR 79/04). Es gebe Fälle, in denen es nicht hinnehmbar sei, einen Ehegatten gegen seinen Willen dazu zu zwingen, die Ehe fortzusetzen. In den letzten Jahrzehnten habe es im europäischen Raum einen großen Wertewandel gegeben, nur noch in Zwergstaaten wie Andorra oder Malta seien Ehen "unscheidbar".

Daran müsse man sich auch im konkreten Fall orientieren. Maßstab sei der "ordre public", also die hier gültige Rechtsordnung und das Grundgesetz. Artikel 6 des Grundgesetzes schütze nicht jede Ehe, unabhängig davon, wie zerrüttet sie sei. Aus der Verfassung sei ebenso das Recht abzuleiten, durch eine Scheidung frei für eine neue Ehe zu werden. Nur so könne zum Beispiel ein eventueller Kinderwunsch erfüllt werden, ohne Ehebruch zu begehen. Und nur so bekämen Kinder - wie hier die Tochter aus erster Ehe - die Chance, in einer neuen, gefestigten Familie aufzuwachsen.